Der ungarische Musiktheaterregisseur David Marton, zumeist in Berlin zugange, zeigt im Museumsquartier die jüngste Zuchtfrucht immer gleicher Festivalkultur. Sie braucht einen Mythos, der überall in Europa verstanden wird, ein multikulturelles Ensemble und Subventionen aus vielen Ländern.

Diesmal sind es Narziss und Echo in der Überlieferung von Ovid. An der selbstzerstörerischen Schönheit von Narziss arbeiteten sich, noch vor den Psychologen, die romantischen Dichter ab - Friedrich Schlegel,
E. T. A. Hoffmann und noch Oscar Wilde. Die Nymphe Echo wurde mit dem Verlust der eigenen Sprache für ihr Schwätzen bestraft, das ihr der Göttervater aufgetragen hatte. Nun darf sie nur mehr wiederholen, was ihr vorgesagt wird. Sie himmelt Narziss an, doch der verschmäht, demütigt sie. Die Rachegöttin Nemesis reicht ihm einen Spiegel. Er verliebt sich in sein Ebenbild und ist damit zur Einsamkeit verdammt.

Fünf Schaukästen auf der Bühne der Road Opera "Narziss und Echo" wie übergroße Duschkabinen. Weiße Eisenrahmen, darin Folienpaneele eingespannt, drehbar, durchsichtig, farblich schillernd von gelblich über bläulich bis weinrot, und in jede Richtung mobil. Bunt wie die Kabäuschen auch das Ensemble dieser 75-Minuten-Koproduktion der Wiener Festwochen mit dem Théâtre de Vidy in Lausanne. Im Mythos streift Narziss jagend durch die Wälder. Nun steht er in einem Zimmergarten und netzt sein Grün mit der Sprühbüchse.

Die Anmut von Internatsschülerinnen

Thorbjörn Björnson ist Isländer und schaut auch so aus. Dieser Nordmanntyp mit Backenbart explodiert grandios, sobald ihn die Regie aus dem Wintergarten befreit. Vinora Epp und Marie Goyette sprechen französisch. In ihren Kobeln stellen sie konträres Frauenleben aus: Internatsschülerinnen-Anmut ziert Echo, sie bläst auch artig Klarinette. Elegant im Leopardenfellmantel räkelt sich lange unerkannt Nemesis. Wie sie ihre Sonnenbrille am Rocksaum sauberpoliert, ist klar: alles nur Escortdamen-Talmi. Gleichwohl Kabinettstücke der Schauspielkunst.

Der Amerikaner Paul Brody ist eine Nummer für sich: Trompeter, Schauspieler, Klangmultiartist. Mit Michael Wilhelmi, der am Barpiano den Jazz und den Schmelz alter Revueschuppen draufhat, spielt Brody den Live-Part in der von Daniel Dorsch gemixten Off-Musik. Eine Wunderwelt für sich, von Sturmwind aus Urtiefen über instrumentalen Minimalismus bis zu wagnerianischen Brausegewittern, voll mit Echos aus der Musikgeschichte. Doch ebenso stark die puren Stimmen im leisen A-cappella-Gesang.

Fehlt etwas zur Seligkeit bei so viel solistischer Bravour? Nicht die Reminiszenz an den Hexameter in der Schule: Michael Wilhelmi sagt Schlüsselverse von Ovid lateinisch auf. Der emphatische Zugang zur Doppeltragödie katastrophalen Liebens ist verbaut, nämlich der romantische. Die Fünf-Bühnen-Maschinerie von Christian Friedländer regiert wie im Messekojenbau der rechte Winkel. Die im Kern nur ganz kurze Mythenerzählung teilen sich die Stimmen und Sprachen in lähmenden Wiederholungen. In Martons Konzept sind allen im Ensemble wie im Jazz Soli zugeteilt - Bilder von Isolation, Kommunikationsverlust. Voll Hohn wird auch das Gegenmodell gezeigt: Ein verliebtes Paar präsentiert sich linkisch seinen Eltern. Kein unvergessbarer Abend, doch im Trend: Hervorragende Solisten von überall her, doch Instant-Theater mit Text für den Tagesbedarf.