Es ist immer ein Balanceakt, das Spiel auf dem See. Genauer gesagt sind es sogar mehrere. Der eine ist ein szenischer, zwischen einer großen, effektvollen Bühnenshow, dem stringenten und kompakten Erzählen einer oft komplexen Geschichte und dem Schaffen von intimen Opernmomenten in der gigantischen Naturkulisse.
Regisseur Philipp Stölzl ist dieser Balanceakt bei seiner Neuinszenierung von Giuseppe Verdis Oper "Rigoletto" auf der Bregenzer Seebühne gelungen. Mit einem technisch aufwendigen Bühnenbild und einer akrobatisch anspruchsvollen Personenregie gelingt es ihm, so viel Show zu bieten, wie eben nötig und dabei aber so viel Oper wie möglich zu erlauben. Bei der Premiere am Mittwoch spielt zudem das Wetter mit - im Gegensatz zur verregneten "Carmen"-Premiere vor zwei Jahren - und ließ die ersten Takte aus dem fast kitschigen Abendrot über dem See heraus erklingen. Den musikalischen Balanceakt schließlich meisterten Dirigent Enrique Mazzola am Pult der Wiener Symphoniker, ein wirklich gutes Sängerensemble sowie die neue Klanganlage souverän.
Bunte Zirkuswelt
Den Schauplatz der Oper hat Philipp Stölzl vom Hof des Herzogs von Mantua in die Welt des Zirkus verlegt. Artisten und Akrobaten bevölkern die Bühne, es wird geturnt und Einrad gefahren. Turbulent, quirlig und intrigant sind beide Welten. Rigoletto ist konsequenterweise der traurig-tragische Clown der Truppe. Den triebhaften Herzog, der Rigolettos Tochter Gilda verführt und damit das finale Drama auslöst, zeigt Stölzl als Dompteur. Die vermeintlich wilden Wesen, die er gefügig macht, sind Frauen - und derer nicht zu wenig. Der gigantische, bespielbare und bewegliche Clown-Kopf, der das Zentrum der Bühne bildet, ist der Rigolettos. Sein gigantischer Mund birgt das Lustnest des Herzogs, die Finger des Clowns, die ebenfalls aus dem Wasser ragen, füttern den gierigen Schlund mit weiblichem Nachschub. Er verschlingt die Frauen ganz wörtlich. Genossen werden sie in den See gespuckt. Die riesigen, ebenfalls beweglichen, (neu)gierigen Augen des Clowns verfolgen die Szenerie genau. Der Hofnarr selbst ist hier klar Mittäter seines Herren. Kein sehr kluger freilich, sonst würde er nicht die eigene Tochter in den Riesenmund befördern.
Am Ende jedoch ist dieser an sich freundlich blickende Clown ebenso demontiert wie Rigoletto - leere Augenhöhlen, keine Nase und mit Zahnlücken bietet er ein erbärmliches Bild. Rund um diesen Bühne gewordenen Subtext wird viel in luftiger Höhe geturnt und gesungen, Feuer gespuckt und in den See gesprungen. Nicht alle von Stölzls Ideen zünden, manche Überzeichnung gelingt recht grell, die Technik mit ihren zahllosen Sicherungsseilen und Haken ist sehr präsent und als Narr unter Narren verliert die Titelfigur an Kontur. Trotzdem stimmt das Gesamtbild dieser Produktion - auch weil es dem Regieteam gelingt, die intimen Momente nicht durch plumpe Showeffekte zu verraten.
Singen in luftigen Höhen
Dass sich auf der riesigen Bühne so etwas wie Intimität einstellt, das liegt auch an den Musikern. Stephen Costello ist ein viriler und stimmlich schneidiger Herzog, der sich mühelos in die Herzen der Frauen singt. Mélissa Petit ist eine lyrische wie intensive Gilda, die nicht nur in luftiger Höhe singt und turnt, sondern auch stimmlich überzeugt. Vladimir Stoyanov singt einen guten Rigoletto, bleibt aber im Vergleich stimmlich blass. Dirigent Enrique Mazzola lässt mit den präsenten Wiener Symphonikern einen schlanken Verdi erklingen, setzt auf kompakte Linien statt auf weit ausladende üppige Flächen, die Koordination mit den Sängern funktioniert. Die neue Tonanlage ermöglicht nach wie vor einen räumlich gut zuordenbaren Klang, es ist also immer klar, wer gerade singt. Die Steuerung wirkt feiner, was den Gesamtklang jedoch weniger üppig und raumfüllend macht. Hier wird man sicher noch Erfahrungswerte sammeln.
Insgesamt jedoch ein durchwegs gelungenes Opern-Spektakel mit der Betonung auf Oper, das die kommenden zwei Sommer ohne Zweifel viele Besucher an den Bodensee locken wird.