Salzburg/Wien. Wann beginnen die Salzburger Festspiele? Festspiel-Fans würden sagen: mit dem ersten "Jedermann". Aber weil der im Rahmen der "Ouverture spirituelle" läuft, könnte man den Beginn auch auf die erste Opernproduktion verlegen - als ob Ouvertüren nicht der Anfang wären.
Andererseits: Peter Sellars ist zu Gast an der Salzach. Das ist zwar keine Initialzündung, denn das war er bereits mehrfach. Aber für ein startwürdiges Aufsehen garantiert der US-amerikanische Werkumkrempler allemal. Diesmal nimmt er sich Wolfgang Amadeus Mozarts "Idomeneo" vor - und am Pult steht ein Dirigent, der ebenfalls einen neuen Blick auf alte Partituren garantiert, nämlich Teodor Currentzis. Premiere ist heute, Samstag - und die ist erwartungsgemäß ausverkauft. Dem Vernehmen nach werden unter der Hand Karten bis zum Doppelten und mehr des regulären Kaufpreises angeboten.
Radikale Interpretationen
Sellars, am 27. September 1957 in Pittsburgh, Pennsylvania, geboren, debütierte 1980 als Regisseur in New York, war aber mit den bekannten Formen des westlichen Theaters unzufrieden und bereiste China, Japan und Indien, um sich neue Impulse zu holen.
Mit radikalen Uminterpretationen der Mozart-Opern "Così fan tutte", "Die Hochzeit des Figaro" und "Don Giovanni" machte er sich auch in Europa einen Namen. In den USA stand er als Ideengeber hinter der Oper "Nixon in China" von John Adams, die, als Ost-West-Kontrast angelegt und musikalisch auf der Basis eines weiterentwickelten rhythmisch pulsierenden Minimalismus’, zu einer der erfolgreichsten Opern der Gegenwart wurde. Adams und Sellars setzten ihre Zusammenarbeit fort in den Opern "The Death of Klinghoffer", "El Niño", "Doctor Atomic", "A Flowering Tree", "The Gospel According to the Other Mary" und jüngst "Girls of the Golden West".
Bei den Salzburger Festspielen inszenierte Sellars erstmals 1992: Für die Mysterienoper "Saint
François d’Assise" des Vogelstimmenliebhabers Olivier Messiaen ließ er den Bühnenbildner George Tsypin eine Fernsehapparate-Wand bauen, um die in der Musik zitierten Vögel zu zeigen. Yvonne Loriod, die Witwe des Komponisten, war schockiert, dass Sellars eine Szene einfließen ließ, die sie als Anspielung auf den Tod ihres Mannes verstand. Zweifellos aber bewies der Regisseur auch die Bühnentauglicheit des als nahezu unspielbar geltenden Kolosses.
Bei der Uraufführung von Kaja Saariahos Oper "L’Amour de loin" bei den Festspielen des Jahres 2000 spiegelte Sellars überraschenderweise die Poesie des Werkes in seiner Inszenierung.
Anders ging Sellars in seiner Inszenierung von "La clemenza di Tito" (Salzburger Festspiele 2017) vor, als er Mozarts humanitäre Botschaft auf die Flüchtlingsthematik übertrug. Auch da stand Currentzis am Pult. Dirigent und Regisseur strichen die von Franz Xaver Süßmayr komponierten Rezitative und bauten statt ihrer andere Musik Mozarts ein, was Puristen ihre Nasen rümpfen ließ.
Im "Idomeneo", der heute, ebenfalls in der Felsenreitschule, Premiere hat, nimmt sich Sellars wieder eines brisanten Themas an, nämlich der Klimaerwärmung. Das Thema macht Sellars fest an dem Unwetter, das Poseidon heraufbeschwört. Die Flüchtlingsthematik wird gleichfalls wieder bemüht.
Angesprochen auf die ungewöhnliche und problematische Akustik der Felsenreitschule antwortete Sellars in mehreren Interviews, er liebe es, Mozarts Musik gegen die Felswand zu spielen und er liebe den Klang von Stein. In seinen Mozart-Inszenierungen treibe ihn einzig und allein die Frage um, was der Komponist gewollt habe und wie man damit im Heute umgehen solle. Voraussichtlich ist damit zumindest einmal für Gesprächsstoff gesorgt.