So früh hatte man nicht mit Wiederholungen gerechnt. Am Donnerstag mahnte das Tonband im Theater an der Wien nicht nur kurz auf Deutsch und Englisch, das Handy nun für die Vorführung abzuschalten. Unmittelbar danach begann die Durchsage von vorne, wurde aber nach wenigen Worten abgewürgt. Eine Kicherwelle rollte durch das Haus.
Eine willkommene Aufheiterung vor einem Stück, das ebenfalls mit Wiederholungen arbeitet, doch kaum Komik beschert. "La clemenza di Tito" ist 1791 für eine Krönung in Böhmen entstanden und von Mozart entsprechend pflichtschuldig angelegt worden. Seine letzte Oper huldigt Titus als Inbegriff des milden Herrschers und lehnt sich dabei stark an die Form der Opera seria an - schon damals ein Auslaufmodell mit ihrem starren Wechsel zwischen Rezitativ und Da-Capo-Arie. Zwar war Mozart um ein Update bemüht: Immer wieder bricht er das eherne Gerüst mit Duetten und Ensembles auf, sprengt auch die Schablonenform der Arie, findet insgesamt zu einem Kompromiss zwischen höfischem Feststück und vitalem Musiktheater. Neben seinen lebensprallen Meisterwerken sieht der "Tito" dennoch bis heute etwas blass aus.
Klang wird Geste
Das Theater an der Wien nimmt sich dieser Oper nun besonders huldvoll an und trägt dabei die Musik auf Händen. Ein auffälliges Regiekonzept hat der Engländer Sam Brown nicht mitgebracht. Weder versetzt er den Römerkaiser in eine andere Zeit, noch wirft er ein neues Licht auf ihn (abgesehen von ein paar homosexuellen Gesten). Eher unauffällig auch das Bühnenbild (Alex Lowde): Glaswände und Stangen bilden einen dreieckigen Raum, um den Gänge verlaufen. Diese Nüchternheit wird zwar ab und zu aufgepeppt: Eine Choreografin (Stina Quagebeur) vollführt Ausdruckstänze; Rauch steigt auf beim Anschlag auf das Kapitol; mitunter verwandeln sich Wände in Videoflächen für atmosphärische Bilder suchender oder blutender Hände (Tabea Rothfuchs). Im Zentrum dieses Abends stehen aber schlicht Künstler, die Mozart singen.
Und in der ersten Hälfte packt das vollauf. Das liegt nicht nur an der Qualität der Stimmen, sondern auch an einer minutiösen Abstimmung zwischen den Bühnen-Aktionen und der Musik: Sie wirken streckenweise wie Spiegelbilder. Da geht ein verhuschter Blick mit einer Orchesterpause einher, eine bestürzte Miene mit einem Moll-Akkord vom Accompagnato-Klavier, eine geballte Faust mit einer Klangexplosion. Mozarts Noten zeitigen hier nicht nur glutvolle Töne. Die "tausend Gefühle", von denen immer wieder die Rede ist, greifen klanglich und gestisch gleichermaßen beredt Raum.
Besonders fulminant ist das bei Nicole Chevalier (Vitellia) anzusehen: Die Oberintrigantin, die ihren Galan Sesto mit ein paar Beckenschwüngen in einen Attentäter verwandelt, wirkt im kessen Pianissimo wie eine Raubkatze auf dem Sprung, im wiederkehrenden Wutanfall wie ein Wesen, vor dem selbst Lady Macbeth zittert.
David Hansen verleiht dem Sesto traubensüße, aber anfangs enge Counter-Töne. Erst in der "Parto"-Arie, geschmeidig begleitet von der Soloklarinette, singt er sich in einen Ausnahmezustand und vom Kokon der bisherigen Beschränkung frei. Mari Eriksmoen (Servilla) verströmt dazu ein jugendliches Timbre, das im Verbund mit Kangmin Justin Kim (Annio) dem einzigen Ohrwurm des Abends ("Ah, perdona") linde Schönheit sichert. Und der Tito von Jeremy Ovenden? Ein Mann der kultivierten, natürlichen Töne, dem es in dieser Produktion aber - trotz allem zur Schau gestellten Leid - an Charisma gebricht.
Überhaupt ermatten die Kräfte nach der Pause ein wenig: Der Intrigenstadel ist zum Stillstand gekommen, Titos innerer Kampf zwischen Rachsucht und Größe beginnt. Da reicht es nicht mehr, dass Browns Regie auf gestische Gesangsbebilderung setzt. Seltsame Schauwerte versuchen, die Ödnis zu befüllen, und werfen Fragen auf: Warum tragen alle Damen aus dem Volk (der formidable Schönberg-Chor) einen Babybauch, und wie direkt hat das mit dem Kaiser zu tun?
Bleibt das Orchester: Stefan Gottfried erfreut am Pult des Concentus Musicus als beherzter Detailarbeiter mit traditionellem Hang zur Kontrastschärfe, jedoch nicht so harsch wie sein großer Vorgänger Nikolaus Harnoncourt. Schroff zuletzt einige Buh-Rufe, doch rasch überlagert von einem freundlichen Publikumsvotum.