Was läuft für Frauen falsch an den großen Bühnen? Weshalb lässt die Frauenquote auf sich warten? Über Chancengleichheit am Theater sprach die "Wiener Zeitung" mit der Regisseurin und Aktivistin Bérénice Hebenstreit. Ihre Inszenierung "Urfaust/FaustIn and out" feiert am Freitag, 28. Februar, Premiere im Volx/Margareten.
"Wiener Zeitung": Drei von vier Aufführungen werden im Schnitt von Männern inszeniert, mit fast 90-prozentiger Sicherheit bekommt man ein Stück von einem Mann zu sehen. Was läuft da schief?
Bérénice Hebenstreit: Darauf lässt sich keine einfache Antwort geben. Ernüchternd ist für mich die Erkenntnis, dass Frauen, auch wenn sie seit Jahrzehnten vor dem Gesetz gleichgestellt sind und ihnen prinzipiell alle Wege offenstehen, noch immer nicht entsprechend auf den Spielplänen der Theater vorkommen, noch immer nicht die Hälfte der Führungspositionen innehaben, meist weniger verdienen und so weiter. Chancengleichheit wird gern behauptet, sie existiert in der Theorie, nicht unbedingt in der Realität. Gerade in der Kunstwelt hängt man gern dem Glauben an, dass sich Talent und Qualität schon durchsetzen werden. Daran glaube ich nur bedingt.

Wieso?
Im Job vorankommen hat viel mit Möglichkeiten zu tun, die einem geboten werden, wie man gerade am Anfang der Laufbahn gefördert und wahrgenommen wird. Wobei es mir nicht nur um Geschlechtergerechtigkeit geht, sondern generell um mehr Diversität.
Was sollte sich also am Arbeitsplatz Theater ändern?
Im Unterschied zu Deutschland, gibt es hierzulande keine nennenswerten Erhebungen über die Situation von Frauen am Theater. Wir können nur vermuten, wo die Probleme liegen, aber um kulturpolitisch aktiv zu werden, wären fundierte Studien hilfreich.
Wo liegen denn mutmaßlich die Probleme?
Die Vereinbarkeit von Kind und Karriere ist auch am Theater ein großes Thema. Da noch immer hauptsächlich Frauen die Versorgungsarbeit leisten, pausieren sie und können danach mitunter nicht mehr richtig Fuß fassen. Wer Chancengleichheit ernst nimmt, muss ernsthaft über eine gerechtere Verteilung von Arbeit und Arbeitszeiten nachdenken. Das Frauenvolksbegehren forderte eine 30-Stunden-Woche, eine Idee, die seit den 1970er Jahren auf der feministischen Agenda steht. Das alles betrifft nicht nur Frauen am Theater, das muss gesamtgesellschaftlich gelöst werden.
Welche Schwierigkeiten tun sich speziell für Regisseurinnen auf?
Große Bühnen stehen unter großem Auslastungsdruck, bekannte Namen verkaufen sich besser und so setzen sich bestehende Verhältnisse fort. Auch sollten wir uns fragen: Welche Vorstellungen verbinden wir überhaupt mit der Persönlichkeit eines Regisseurs?
Was meinen Sie damit?
Unser Bild ist von Genievorstellungen aus der Moderne geprägt. Traditionell ist das Genie männlich definiert, wir verbinden es mit Eigenschaften, die Frauen gesellschaftlich weniger zugeschrieben werden. Es geht also auch darum, unbewusst wirkende Vorstellungen aufzubrechen, die subtil weiter wirken.
Aber dankt der "große Regisseur" nicht allerorts ab?
Das stimmt, da verändert sich gerade etwas, viele Kollegen meiner Generation haben ein ganz anderes Selbstverständnis. Aber die öffentliche Wahrnehmung hängt immer noch sehr an der Idee des großen Künstlers, dem der "große Wurf" gelingt. Das sogenannte Künstlergenie wird weiterhin romantisiert und verklärt.
In der freien Szene und an vielen Landesbühnen sind deutlich mehr Intendantinnen tätig als an den Großbühnen. Wie erklären Sie sich diese Schieflage?
Theater ist ein öffentlicher Raum, traditionell also männlich dominiert. Gesamtgesellschaftlich befinden sich Macht und Kapital weiterhin vorwiegend in Männerhand, das spiegelt sich eben auch am Theater wider: Je prestigeträchtiger und je höher dotiert eine Bühne ist, desto eher wird sie von einem Mann geleitet.
Was halten Sie von der Einführung einer Frauenquote?
Die Quotendebatte stößt immer auf viel Gegenwehr, weil man befürchtet, die künstlerische Qualität könnte leiden. Ich halte sie für ein wirksames Instrument, um in absehbarer Zeit mehr Geschlechtergerechtigkeit herzustellen, aber selbst das würde nicht alle Probleme auf einen Schlag lösen.
Nun inszenieren Sie am Volx/Margareten Jelineks "FaustIn and out" im Verbund mit Goethes "Urfaust". Was interessiert Sie daran?
Mir war wichtig, Jelineks Text direkt mit dem "Urfaust" zu verschneiden, um sichtbar zu machen, woran sie sich abarbeitet. Sie nennt ihr Stück "Sekundärdrama", es soll nicht ohne seinen Bezugstext aufgeführt werden. Diese Ironie, mit der sie kultureller Hegemonie und klassischer Kanon-Bildung begegnet, gefällt mir sehr.
In "FaustIn and out" nimmt Jelinek Gretchens Schicksal zum Ausgangspunkt und verschränkt es mit dem Fall Josef Fritzl, der seine Tochter jahrelang in einen Keller sperrte und mehrere Kinder mit ihr zeugte. Was hat der Fall Fritzl mit Gretchen und Faust zu tun?
Das ist die interessante Frage! Warum bringt Jelinek diese beiden Themen zusammen? Was hat der große Dichter und seine bekannteste Dramenfigur mit diesem konkreten Verbrechen zu tun, bei dem sich ein Vater an der eigenen Tochter vergeht? Jelinek arbeitet in ihrem Text auf vielfältige Weise gesellschaftliche Herrschaftslinien heraus. Macht und Herrschaft äußern sich ja nicht nur in physischer Gewalt, sondern auch darin, wer die dominanten Erzählungen bestimmen kann. So zieht der Text Verbindungen zwischen dem Mann als Schöpfer von Wirklichkeit, realen Gewaltverhältnissen und ökonomischen Kräfteverhältnissen. Die Frau im Keller, die in der totalen Unsichtbarkeit für Versorgungsarbeit und männliche Lust zur Verfügung stehen muss. Diese Überschreibung ist wahnsinnig kompromisslos und verstörend. Und das finde ich gut.
Urfaust/FaustIn and out
Volx/Margareten
Premiere: Fr., 28. Februar, 20 Uhr