Dieter Nuhr ist einer von Deutschlands unbequemsten Kabarettisten. Mit seinem Programm "Kein Scherz!" ist er am 16. und 17. August (statt am 15. und 16. März) zu Gast im Globe Wien. Mit der "Wiener Zeitung" hat er über seine Sicht auf die Klimadebatte, die AfD, Religion und Shitstorms gesprochen.

Sein Motor ist das Dagegenhalten, sagt Dieter Nuhr. - © Dieter Nuhr
Sein Motor ist das Dagegenhalten, sagt Dieter Nuhr. - © Dieter Nuhr

"Wiener Zeitung": Herr Nuhr, mit welchem Transportmittel gehen Sie auf Tour in Zeiten von Fridays for Future?

Dieter Nuhr: Unterschiedlich. Wie es erforderlich ist: Bahn, Flugzeug, Auto. Die Frage ist ein bisschen albern, weil das ja völlig unerheblich ist. Es wäre für das Klima vielleicht schon ein Fortschritt, wenn die Bahn auch öfter fahren würde, wenn es dunkel ist.

Was läuft aus Ihrer Sicht falsch in der Klimadebatte?

Wie so oft bei uns: die Verhältnismäßigkeit. Es wird zu 99 Prozent über Symbole diskutiert und fast gar nicht über die wichtigen Fakten. Um dem Klimawandel entgegenzuarbeiten, bedarf es globaler Übereinkommen. Alles andere ist völlig sinnlos. Die Frage, wie es mit dem Klima weitergeht, wird über multinationale Verträge entschieden. Da ist es völlig wurscht, ob ich zum Auftritt in Emsdetten mit dem Auto fahre, weil es dazu keine Alternative gibt. Die Deutsche Bahn fährt nämlich um 23.30 Uhr nur noch in Ausnahmefällen. Und zu Fuß zurück wäre mir zu weit.

Was würden Sie sich von der Politik in Sachen Klimaschutz wünschen?

In erster Linie haben wir damit zu kämpfen, dass sowohl am linken wie auch am rechten politischen Rand gegen Globalisierung und Multilateralität gekämpft wurde und wird. Die Globalisierungskritik hat uns in den Nationalismus zurückgeführt. Und Nationen verhalten sich egoistisch. Sie sind zur gemeinsamen Problemlösung nur bedingt geeignet.

Österreich verbietet Plastiksackerl, die EU Einwegplastik . . .

Das ist Symbolpolitik. Plastik ist so ein typisches Beispiel. Oft ist es als Material die ökologischste Lösung. Entscheidend ist, was nach der Nutzung passiert: recyceln, verbrennen oder runterschlucken. Aber die Menschen macht es glücklich, wenn sie gegen Plastik sind, weil es moralische Erleichterung verspricht. Und Politiker freuen sich über heroische Scheinmaßnahmen. Als könnten wir die Welt des 21. Jahrhunderts mit Bambusbooten betreiben. Plastik ist der Grundstoff unserer Zeit. Es steckt faktisch in fast allem. Ohne können wir zumachen. Also müssen wir es ökologischer nutzen und nicht verbieten.

Greta Thunberg ist . . .

. . . die wahrscheinlich mächtigste Frau der Welt.

Wo würden Sie sich selbst politisch verorten? Sie sagen ja von sich, Sie wären grün-alternativ sozialisiert worden. Wo stehen Sie da heute?

Schwer zu sagen. Ich bin extrem unabhängig. Ich denke in vielerlei Hinsicht immer noch so wie früher, bin für Freiheit der Lebensentwürfe, für Sozialstaat und Umweltschutz. Das ist heute allerdings eine Selbstverständlichkeit. Ich bin ideologiekritisch und gegen jeden Fanatismus. Und ich halte den Kompromiss als Inbegriff der demokratischen Entscheidung für unterschätzt. Radikale wollen keine Kompromisse, sondern den anderen überwältigen. Diese Form der Problemlösung wird gerade populär, links wie rechts. Ich halte das für gefährlich. Das ist aber eine sehr kurzgreifende Vergröberung meiner Weltsicht.

In Österreich ist das politische Kabarett tendenziell links. Sie hingegen teilen in alle Richtungen aus. Wie kommt das in der Szene an?

Bei den Kabarettisten in Österreich kenne ich mich ja naturgemäß nicht so aus. Ich habe da aber immer sehr große Offenheit erlebt und kenne sehr angenehme Kollegen. Ein Paradies gegenüber Deutschland. Da gibt es einen hohen Anteil politisch radikaler Ideologen, die am liebsten jedem Andersdenkenden das Rederecht entziehen würden. Da sind einige Gemüts-Stalinisten am Werk. Und ganz ehrlich: Dagegenzuhalten ist einer der Motoren, die mich antreibt.

Wie gehen Sie mit Shitstorms um?

Ich empfinde kollektive Blödheit leider oft als persönliche Beleidigung. Mein Fehler. Viele Leute reden von Schwarmintelligenz. Ich glaube: Ein Schwarm ist meist nur so schlau wie sein dümmstes Mitglied. Und ein Hirntoter ist immer dabei... Der Shitstorm ist die moderne Form des Prangers. Insofern führt uns ausgerechnet das Internet zurück ins Mittelalter. Beim Shitstorm geht es wie damals nicht um argumentative Auseinandersetzung, sondern um die Züchtigung des Einzelnen durch die erregte Masse. Also um Triebbefriedigung. So etwas erledigte der Deutsche 1939 noch in der realen Welt, heute nur noch digital. Insofern ist das Internet ein Fortschritt.

Macht Ihnen die AfD ernsthafte Sorgen? Oder muss eine Demokratie so eine Partei aushalten?

Aushalten muss man vieles. Im Grunde alles, was man nicht ändern kann. Natürlich macht mir die Partei Sorgen. Ein Björn Höcke ist ja quasi ein Bonsai-Hitler. Der redet völkisch, weist schon mal auf die Notwendigkeit "wohltemperierter Grausamkeiten" hin und will Rassenfremde aus dem Land werfen. Wenn so einer bei einer Landtagswahl ein Viertel der Stimmen bekommt, ist es eine Untertreibung, das gruselig zu nennen.

Angela Merkels Kanzlerschaft nähert sich dem Ende. Wer sollte nachfolgen?

Stimmt! Sie ist ja noch da! Gut, dass Sie mich erinnert haben, ich hatte sie fast schon vergessen! Sie gibt der Öffentlichkeit nur noch wenig Audienz. Wahrscheinlich wird sie, wenn der Kandidaten-Hickhack bei der CDU weitergeht, drei Wochen vor der Wahl sagen: Ich mach’s nochmal. Traditionell widerspricht ihr da keiner.

Sie arbeiten sich auch intensiv am Religionsthema ab. Woran glauben Sie?

Ich bin definitiv Agnostiker. Da muss es etwas geben, aus dem alles kommt. Im Rheinland sagt man ja: Von nix kütt nix. Das ist physikalisch richtig. Allerdings übersteigt die Gottesfrage unseren Primatenverstand. Unser Hirn ist für das Begreifen des Allumfassenden nicht geeignet, weshalb die größten Primaten behaupten, sie wüssten genau, was Gott will und welches Körperteil verdeckt werden muss. Das ist absurd.

Gibt es für Sie im Kabarett eine rote Linie, was Gags betrifft?

Meine Grenze ist exakt die meines persönlichen Geschmacks. Da bei mir oft viele zugucken, scheint es so zu sein, dass ich diese Grenze mit meinem Publikum teile. Da freue ich mich.