Die "Nurejew-Gala" zu Saisonende wurde alljährlich zu einer Ehrung für Manuel Legris mit Standing Ovations für sein Wiener Staatsballett und seine Direktion. Heuer sollte diese Gala ein Feuerwerk werden, ein gebührender Abschluss seiner zehnjährigen, unumstritten erfolgreichen Amtszeit als Ballettchef der Kompagnie. Doch nun ist alles anders: Es gibt keine Gala, nicht einmal eine Abschiedsfeier. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erzählt Manuel Legris von den Schwierigkeiten für seine Tänzer, sich nun fit zu halten, und er spricht auch über sein erreichtes Ziel, analysiert die Gründe seines Erfolgs und äußert sich zum Ballettakademie-Skandal.

"Wiener Zeitung": Was bedeutet diese Corona-Krise für das Staatsballett?

Manuel Legris: Es ist ein absolutes Desaster: Wir arbeiten üblicherweise mit Körperkontakt. Zugleich muss man jetzt versuchen, die physische Kondition irgendwie zu erhalten. Ballett ist unser Leben, das zurzeit auf Eis gelegt ist.

Wie halten sich die Tänzer ohne gemeinsames Training im Ballettsaal in Form?

Wir versuchen, in naher Zukunft - natürlich unter Einhaltung aller Bestimmungen - ein Training zu organisieren, aber das ist alles noch nicht ausgegoren. Wir haben den Tänzern ein Stück Tanzboden für Zuhause zur Verfügung gestellt, damit sie in ihren vier Wänden trainieren können, aber das ist kein Ersatz, denn für die Kondition müssen sie springen und den Raum nützen. Eine Probenleiterin aus dem Team bietet seit einigen Wochen ein tägliches Online-Training für die Tänzer an.

Und wie geht es Ihnen?

Die ersten 15 Tage war ich demotiviert, aber ich hoffte noch. Es ist ja meine letzte Saison mit dem Staatsballett, alles lief so gut. Und wir wollten mit einem Feuerwerk diese Saison und meine Direktionszeit abschließen. Als ich hörte, dass wir bis Ende Juni nicht spielen durften, war es richtig hart. Aber wir müssen alle damit umgehen, denn natürlich ist unsere Gesundheit das Wichtigste.

Haben Sie Ihr angestrebtes Ziel als Ballettdirektor erreicht?

Ich blicke zurück auf das, was ich mit den Tänzern erreicht habe. Und das macht mich glücklich. Es war mein Ziel, die Kompagnie auf ein bestimmtes hohes Level hinzuführen, und das haben wir erreicht. Ich denke an die Performances, an das positive Feedback des Publikums. Ich versuche, positiv zu denken, denn es ist nicht das Ende der Welt, ohne Abschied zu gehen. In der Tanzwelt gibt es ohnehin keinen absoluten Abschied: Einige Tänzer bleiben, einige Tänzer ziehen weiter, und ich gehe an die Mailänder Scala - vielleicht sieht man sich wieder in einer Produktion.

Nehmen Sie Wiener Tänzer mit an die Scala?

An der Scala hätte eine Audition stattfinden sollen, und sehr viele Studenten der Ballettschule werden in das Ensemble aufgenommen. Außerdem sind rund 95 Prozent der Tänzer Italiener - also vergleichbar mit dem System der Pariser Oper. Ich weiß, dass einige Tänzer gerne mitkommen würden.

Welche Eindrücke hatten Sie vor zehn Jahren vom Staatsballett?

Es gab viele gute Tänzerinnen und Tänzer, wie Olga Esina und Maria Yakovleva, um nur zwei zu nennen. Sie haben sich über die Jahre hinweg im privaten Leben als auch in ihrer Karriere weiterentwickelt. Gut, ich habe sie schon stark gefordert. Aber auch die jungen Tänzer, die dazu kamen, habe ich gepusht. Das war der richtige Weg für alle, denn die Jungen sahen so auch ihre Vorbilder wachsen. Ich konzentriere mich sehr auf meine Tänzer und lasse keinen unbeachtet. Egal, ob Ensembletänzer oder Erster Solist. Das ist mir wichtig, denn dann ist die Motivation sehr hoch, und sie gehen über sich hinaus.

Ist das der Grund Ihres Erfolgs als Ballettdirektor?

Es ist sicherlich ein wichtiger Teil davon. Auch das passende Repertoire für das Publikum und für das Ensemble ist wichtig. Man kann nicht am Publikum vorbeiplanen. Wir verzeichnen in zehn Jahren 40 Neuproduktionen und 26 Uraufführungen mit 60 Choreografen. Das sind zwar nur Zahlen auf dem Papier, aber es zeigt, dass das die Basis für die technische und personelle Entwicklung der Künstler ist.

Was würden Sie zurückblickend anders machen?

Wenn die Voraussetzungen andere wären, dann sicherlich einiges. Das Ballett bespielt ja Volksoper und Staatsoper. Das bedeutet, mit zwei Direktoren zu verhandeln, dementsprechend die Proben und Vorstellungen zu programmieren. Das war manchmal zum Verrücktwerden. Natürlich wäre es besser, eine höhere Anzahl an Vorstellungen in der Staatsoper zu haben, aber das wünscht sich jeder Ballettdirektor und jeder Tänzer. Ich bin überzeugt, dass ich das Maximum herausholen konnte, und ich machte es niemandem leicht: In allen Produktionen traten viele verschiedene Besetzungen auf, um unterschiedlichen Tänzern die Möglichkeit zu bieten, sich weiterzuentwickeln. Nur zwei Besetzungen wären weit weniger Arbeitsaufwand gewesen. Ich bin immer wieder überrascht und erfreut, wie großartig sie geworden sind. Ich bin sehr stolz auf die Tänzer.

Neben Ihrer Arbeit als Direktor des Staatsballetts sind Sie auch künstlerischer Leiter der Ballettakademie, die im Frühjahr 2019 mit Negativschlagzeilen aufgefallen ist. Wie denken Sie heute über diesen Skandal?

Es steht außer Diskussion, dass man die Vorwürfe, die gegen die Ballettakademie aufkamen, überprüft und ihnen nachgeht. Lückenlos, wie auch Staatsopernchef Dominique Meyer mehrmals sagte. In meiner Amtszeit wurden 28 Tänzer von der Ballettakademie ins Staatsballett übernommen, auch gab es zahlreiche Erfolge bei Wettbewerben. Das hat man in den Medien nicht gelesen. Mit der neuen Direktion von Martin Schläpfer wird sich vieles ändern, es kommt eine Zeit der Neufindung und Transformation.

Haben Sie einen Ratschlag für den designierten Ballettchef Martin Schläpfer?

Nein, das möchte ich nicht. Ich bin mir sicher, er findet seinen eigenen Weg (lacht).