An sich schienen die Vorzeichen günstig. Die Scherereien mit dem Kurhaus waren ausgestanden für den Kultur.Sommer.Semmering. 2019 hatte der Besitzer des Monumentalbaus das Festival noch kurzfristig hinausgeekelt und zu einem Umzug ins Südbahnhotel gezwungen. Schnee von gestern: Dank eines Eigentümerwechsels im Kurhaus hätte der Kultursommer heuer sowohl dort als auch im romantischen Hotelgebäude logieren können. Aber eben nur - hätte. Denn dann brach die Corona-Krise los, kamen die Abstandsregeln und hagelte es Festivalabsagen en masse.
Florian Krumpöck ist aber nicht gewillt, in diesem Storno-Strom mitzuschwimmen. "Natürlich muss die Gesundheit an erster Stelle stehen", sagt der Wiener Pianist, Dirigent und Intendant. Dennoch sieht er keinen Grund, die Festivalflinte ins Korn zu schmeißen. Für die Zeit vom 10. Juli bis 6. September hat er Schauspieler wie Erwin Steinhauer und Birgit Minichmayr, Musiker wie Thomas Gansch und Angelika Kirchschlager gebucht - und bisher keinem abgesagt.
Der Optimismus hat mehrere Gründe. Einerseits benötigt das Festival den internationalen Flugverkehr nicht. Andererseits, glaubt der Intendant, lasse sich das Ansteckungsrisiko durchaus in den Griff bekommen. Und zwar ganz ohne die Abstandsregeln der Regierung, die Krumpöck ebenso wie vielen Kollegen ein Dorn im Auge sind. Weder die 20-Quadratmeter-Vorgabe noch der geforderte Ein-Meter-Abstand wären praktikabel, würden vielmehr eine ruinöse Reduktion des Sitzplatzangebots erzwingen. "Diese Vorgaben wurden nicht speziell für die Kultur erarbeitet, sondern einfach vom Handel abgekupfert. Viele Veranstaltungen können so nicht funktionieren." Krumpöcks Vorschlag: eine Maskenpflicht. Würde das gesamte Publikum einen Mund-Nasen-Schutz tragen, wäre dem Coronavirus ein Riegel vorgeschoben, meint er. Zusätzlich würde das Festival dafür sorgen, dass die Besucher einander nicht zu nahe kämen. Erstens müsse man nicht mit der maximalen Sitzplatzbelegung arbeiten. Zweitens sollten "die Leute in größeren Abständen eingelassen werden. Und in der Pause könnte man ein Catering auf der Terrasse anbieten oder überhaupt auf eine Unterbrechung der Aufführung verzichten." Bei einer Veranstaltung mit höchstens 250 Personen sei das Ansteckungsrisiko ohnedies gering.
"Es werden Karten gekauft"
Würde Krumpöck nicht trotzdem mit einer Absage sicherer fahren? Der Vorverkauf läuft eher schleppend, deutet er an. Dennoch: "Es werden Karten gekauft." Und: "Kunst lebt von Interaktion. Daran gehen die vielen Online-Konzerte der letzten Zeit völlig vorbei; Bühnenkünstler sind ohne Publikum schlechter." Vor allem: "Es ärgert mich, dass so viele Festivals vorzeitig abgesagt haben." Stattdessen will Krumpöck "die Fahne der Kultur hochhalten".
Was er freilich befürchtet: Dass die Stimme der Kleinfestivals nicht bis zur Regierung durchdringt - gerade jetzt, während Staatssekretärin Ulrike Lunacek mit dem Gesundheitsministerium an einer schlanken Verordnung zum Thema arbeitet. Für dieses Regelwerk hat sich die Regierung zuletzt mit den Kapitänen der großen Kulturtanker beraten; Krumpöck versucht nun über die Medien, den kleinen Booten ein wenig Rückenwind zuzublasen. Dabei nimmt er auch zu Vorschlägen aus der Szene Stellung - wie einem erhofften Ausfallshonorar von 30 Prozent für freie Künstler. So etwas könne vielleicht der Staat schultern, meint Krumpöck. Müsste er es bezahlen, "wäre ich mega-insolvent".
Hat er sich einen Stichtag gesetzt? Die noch un-abgesagten Großfestivals von Salzburg und Bregenz wollen bis 30. Mai über ihren heurigen Jahrgang entscheiden. Krumpöck verzichtet auf eine solche Deadline. "Solange es kein Verbot gibt oder Auflagen gelten, die das Festival unmöglich machen, sage ich nicht ab."
Immerhin: Es mehren sich die Anzeichen, dass die 20-Quadratmeter-Regel angesichts der sinkenden Corona-Fallzahlen verschwinden könnte. Sollte sie bleiben, will sich Krumpöck zumindest ein "Happening" am Festivalort gönnen. "Ich würde gemeinsam mit Angelika Kirchschlager und Alfred Dorfer ein Programm zehnmal hintereinander für eine Handvoll Leute spielen. Das ziehen wir dann durch."