Wien hat seinen ersten Corona-Cluster im Kulturbereich: 46 Infektionen stehen im Zusammenhang mit einem Abend im Theater an der Gumpendorfer Straße (TAG). Auch die Wiener Staatsoper ist in diesen Sog geraten und vermeldete am Dienstag sieben Fälle.
Aber der Reihe nach: Am Sonntag, dem 6. September, hat das TAG erstmals seit dem Lockdown eine Vorstellung abgehalten. Veranstalter war nicht das Haus selbst, sondern der Lehrgang Klassische Operette von der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien (MUK): Die Studenten brachten Lehárs Evergreen "Die lustige Witwe" zur Aufführung. Das Bittere daran aber: Ein oder zwei Mitwirkende waren Corona-positiv. Pikanterweise wurde die MUK aber erst unmittelbar nach der Premiere darüber informiert, heißt es aus der Pressestelle, nämlich um 22.30 Uhr des gleichen Abends. In den folgenden Stunden seien die direkten Kontaktpersonen informiert worden, danach wurden alle weiteren Aktivitäten der betroffenen Studentenschaft bis zum Vorlesungsbeginn gestoppt.
Zu spät informiert
Die Ausbreitung konnte damit aber nicht unterbunden werden, und sie traf dann auch die Wiener Staatsoper. Unter den 61 Besuchern der "Lustigen Witwe" befand sich nämlich auch ein Mitglied des neu gegründeten Opernstudios von Neo-Staatsoperndirektor Bogdan Ročić. Wie sich diese Künstlerin infiziert hat? Dazu gibt es zwei Erklärungen. Die eine schiebt den Veranstaltern den Schwarzen Peter zu: Eine Tanzszene hätte direkt im Publikum stattgefunden, lautet die Anschuldigung. Stimmt nicht, heißt es seitens der MUK: Die Tänzerinnen seien nur einmal, und das bloß für wenige Sekunden und mit gebührendem Abstand, durch den Raum gegangen. Außerdem hätten sämtliche Besucher Masken getragen. In diesem Kontext erscheint eine Infektion vor Ort tatsächlich kaum denkbar. Sie könnte aber davor stattgefunden haben. Das gesamte Publikum bestand aus "Family and friends" der Künstler, sagt der MUK-Pressesprecher.
Die Staatsopern-Sängerin wurde danach jedenfalls isoliert und bald selbst positiv auf das Coronavirus getestet. Die Maßnahmen kamen allerdings zu spät, um ein Übergreifen auf das Haus am Ring zu vereiteln. Noch bevor die Frau informiert werden konnte, hatte sie an einer Ensembleprobe teilgenommen und dadurch weitere Künstler angesteckt. Am Dienstagmittag zählte die Staatsoper sieben Corona-Fälle, hieß es auf Anfrage der "Wiener Zeitung". Die Direktion kämpfe nach Kräften gegen eine Ausweitung. Das Haus habe "alle direkten und indirekten Kontakte der betroffenen Person sofort isoliert und unterzieht sie täglichen Testungen". Die Maßnahmen machten bereits am Montagabend Umbesetzungen nötig: Evelino Pidò sprang als Dirigent beim "Elisir damore" ein, Javier Camarena übernahm die Hauptfigur des Nemorino.
TAG beteuert Unschuld
Das Theater an der Gumpendorfer Straße weist alle Schuld von sich: "Ich traue mich zu sagen, dass sämtliche Ansteckungen bei den Proben und nicht bei der Vorstellung passiert sind", erklärt der kaufmännische Leiter Ferdinand Urbach gegenüber der APA. Alle TAG-Mitarbeiter seien sowohl vor als auch nach der "Lustigen Witwe" getestet worden. Das Ergebnis: Es habe sich nur ein Lichttechniker angesteckt, der an den Operettenproben beteiligt war. Die strengen Regeln am Haus schreiben unter anderem ein Kontakttagebuch für Mitarbeiter vor, Testungen, eine Publikumsverteilung im "knallharten Schachbrettmuster" sowie Dauer-Maskenpflicht für Besucher. Urbach betont, dass er für die Einhaltung der Regeln im Zuschauerraum verantwortlich ist, nicht aber für die Bühnenvorgänge während einer eingemieteten Veranstaltung.
Am Dienstagabend hat das TAG übrigens wieder erstmals eine eigene Veranstaltung durchgeführt - ein Konzert des österreichischen Singer-Songwriters Bernhard Eder unter dem hoffnungsfrohen Titel "Reset".