Es waren mehr als 120 Performer, die im Vorjahr ihr nacktes Fleisch zwischen den Zusehern umhergehend in der Halle E des Tanzquartiers Wien zum Schwingen, Hüpfen oder auch zum Klatschen brachten. Keine Fleischbeschau war es, trotz der extremen Nähe zwischen den Akteuren und den Beobachtern - manchmal trennte sie nicht einmal eine Armlänge vom spritzenden Schweiß oder Körpergeruch. Unvorstellbar in der heutigen Corona-Zeit.

"Während des Lockdowns hat es in mir zu brodeln begonnen, was denn nun eigentlich mit Arbeiten wie ,Habitat‘ passieren wird", sagt die österreichische Performerin Doris Uhlich im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" im Vorfeld der Premiere am 3. Oktober im Tanzquartier. Seit 2006 beschäftigt sich die Performerin mit Schönheitsidealen und Körpernormen. Auch die Darstellung von Nacktheit jenseits von Ideologie und Provokation findet man in ihren zahlreichen Werken immer wieder.

Furchtlose Körperbegegnung

Nacktheit und Nähe: Doris Uhlich untersucht ihr Stück "Habitat" auf Corona-Tauglichkeit. - © Katarina Soskic
Nacktheit und Nähe: Doris Uhlich untersucht ihr Stück "Habitat" auf Corona-Tauglichkeit. - © Katarina Soskic

Es war genau "Habitat" aus 2019, das Uhlich gerade jetzt besonders spannend fand: "Denn der Sinn dahinter ist, dass sich darin die Körper furchtlos begegnen. Das klingt in Zeiten von Covid-19 utopisch." Somit untersuchte sie das Projekt in Hinblick auf die Pandemie. "Was mich als Doris antreibt, ist, dass die Utopie zur Dystopie geworden ist. Aber es werden hoffentlich utopische Fasern auftauchen", so die Künstlerin weiter. Die Pandemie habe sie in ihrem Schaffen und letztlich als Mensch komplett blockiert, "wie all jene Personen, die mit ihren Körpern arbeiten". "Es hat natürlich sehr viele hart getroffen, aber mir wurde die Grundlage mich auszudrücken genommen. Deshalb muss ich mit der Pandemie arbeiten und mir überlegen, wie ich wieder Hoffnung schöpfen kann." Uhlich wollte aber kein Stück über die Pandemie machen. Ihre Vision sei es vielmehr, dass sie zurzeit der Corona-Krise ein Stück kreieren möchte, in dem sie rückblickend in ein paar Jahren eine künstlerische Weiterentwicklung erkennen kann.

So wurde aus "Habitat" nun "Habitat - Pandemic-Version", aus mehr als 120 Performern wurden 40. Warum gerade 40? Eine mehr praktische als künstlerische Antwort hat Uhlich parat: "Es dürfen nicht mehr als 40 Menschen aufgrund der Abstandsregeln teilnehmen. Und auch die Garderobenplätze müssen die Möglichkeit bieten, den vorgeschriebenen Mindestabstand einhalten zu können." Doch nicht genug der Einschränkungen. Die Corona-Ampel habe Uhlich letztlich "einen Strich durchs Konzept" gemacht: "Wir dachten zuerst, wir könnten noch mit einem frei beweglichen Publikum arbeiten." Als dann die Ampel auf Orange gesetzt wurde und nur noch 50 Zuschauer sich frei bewegen durften, "musste ich den nächsten Plan entwickeln", so die Choreografin. Dafür war Uhlich in Kontakt mit Virologen. "Ich wollte mich dem stellen und meine Frustration in Motivation und Kreativität umkehren. Als Künstler muss man nun Kunst und Gesundheit unter einen Hut bringen."

Kompromisse der Gesundheit wegen oder künstlerische Entscheidung? "Meinen Fokus habe ich auf den künstlerischen Entschluss im Kreativprozess gerichtet." Anstelle von freiem Publikum, das im Raum schlendern darf, gibt es nun zugewiesene Plätze. "Jetzt sitzen die Zuseher eigentlich auf den am schlechtesten verkauften Plätzen der Halle E: nämlich ganz hinten", sagt die Performerin lachend. Der Grund dafür: "Weil ich mit der Lücke arbeiten werde. Ich werde die Halle in ihrer ganzen Weite nützen. Und was mich reizt, ist, eine Choreografie zu entwickeln, in der ich mit Distanz und der Energie von Distanz arbeite, sowie mit der Nichtbegegnung und nicht-körperlichen Annäherung. Also: Ich erforsche, was es bedeutet, 20 bis 30 Meter entfernt zu sein - im Gegensatz zu 2 Metern."

Trotz aller Konzepte und Pläne "ist das Projekt auf Glatteis gebaut, denn wenn es nur einen Fall trotz all unserer Vorkehrungen gibt, müssen wir absagen". In diesem Sinne lautet der passende Glückwunsch vor der Premiere anstelle von toi-toi-toi: auf dass es zustande kommt.