Wer kennt Francesca Caccini, eine italienische Komponistin im Frühbarock? Nahezu alle ihre Werke gelten als verschollen. Oder die französisch-peruanische Sozialistin Flora Tristan? Sie war befreundet mit Victor Hugo, dachte lange vor Marx und Engels über eine internationale Arbeiterunion nach, die allerdings friedlich verlaufen sollte. Was ist mit Rosalind Franklin? Die Forschungen der Britin haben wesentlich zur Entdeckung der DNA beigetragen, ihr Name aber blieb unerwähnt.

Die Liste lässt sich beliebig lange fortsetzen und in der Lecture-Performance "Name her. Eine Suche nach den Frauen +", die am Wochenende im Wiener Kosmos Theater gastierte, wird gut sieben Stunden lang ein Alphabet vergessener Frauen durchdekliniert. In vier je 90-minütigen Einheiten lässt Performerin Anne Tismer eine schier unendliche Reihe an Künstlerinnen, Wissenschafterinnen, Philosophinnen, Politikerinnen wiederauferstehen, die im Orkus einer männlich dominierten Gesellschaft verschwunden waren. Ein phänomenaler Kraftakt, den Tismer die meiste Zeit im Alleingang stemmt.

Szenisches Denkmal

In der Bühnenmitte des Kosmos Theaters steht ein orangefarbenes Triptychon, die Leinwand dient als Projektionsfläche für Videoeinspielungen (Bühne: Jule Saworski), vor der Bildertafel führt Anne Tismer, bekleidet mit Overall und Turnschuhen, als eine Art Conférencière erzählend, tanzend, pantomimisch-darstellend durch die Miniaturbiografien, unterstützt wird sie dabei fallweise von Regisseurin Marie Schleef, die aus dem Off den einen oder anderen Buchstaben übernimmt.

Nicht nur historische Frauenfiguren werden in "Name her" präsentiert, auch Heldinnen der Mythologie, Comicfiguren und weibliche Leistungen der Gegenwart werden gewürdigt - wie Halla Tomasdottir und Kristin Petersdottir, die beiden umsichtigen Leiterinnen der isländischen Audur-Bank, haben die große Finanzkrise 2008 unbeschadet überstanden. Oder Barbara Fruth, die derzeit das friedliche Zusammenleben der Bonobos-Menschenaffen erforscht.

Die Performance "Name her" steht ganz in der Tradition der Frauen- und Geschlechtergeschichte, seit den 1970er Jahren wird dabei die Rolle von Frauen in der Vergangenheit untersucht, um die meist männlich geprägte Geschichtsschreibung neu zu deuten. Natürlich ist die Auswahl der etwa 150 Kurzbiografien aus "Name her" angreifbar, sie ist beliebig und im höchsten Maß subjektiv, auch die Biografien der beiden Theatermacherinnen spielen eine Rolle - Anne Tismers Ausstieg aus der Schauspielerei, nachdem sie Anfang der 1990er Jahre zu den Spitzenkräften der Branche zählte, ihre Hinwendung zur freien Szene, ihr Umzug nach Togo.

Tismer ist eine charismatische Performerin und die Aufführungsserie lebt von ihrer empathischen, aufgeregten und ehrlichen Darstellung. Wie im Pingpong-Spiel gewährt sie blitzlichtartige Einblicke in diverse Frauenleben, springt zwischen den Zeiten und Kontinenten, Erfreuliches und Tieftrauriges trennt nur ein Gongschlag, große Ereignisse finden sich gleichberechtigt neben herrlich absurden Nebensächlichkeiten wie die Geschichte von Herta Heuer, die als Erfinderin der Berliner Currywurst gilt.

"Name her" ist ein beispielloses Unternehmen, Tismer und Schleef setzen den vergessenen Frauen ein außergewöhnliches szenisches Denkmal.