Ein doppeltes Jubiläum begeht Wiens Kabarettszene dieser Tage: Heute, Mittwoch, wird das Theater am Alsergrund 25 Jahre alt, am Donnerstag feiert die Kulisse ihr 40-jähriges Bestehen. Die Gründung des Kabarett-Lokals in der Rosensteingasse 39 im 17. Bezirk am 8. Oktober 1980 war im Grunde eine Folge der Arena-Besetzung 1976, erzählt Mitgründer Fritz Aumayr. Weil die Schmetterlinge für ihre "Proletenpassion" erfolglos Auftrittsmöglichkeiten suchten, wurde irgendwann gemeinsam mit Erwin Steinhauer und Lukas Resetarits beschlossen: "Wir machen unsere eigene Bühne auf." Und so wurde das brachliegende Gasthaus Zur Berta, das bis zum Tod der Besitzerin eine Anlaufstelle für Haftentlassene aus Stein war, adaptiert.
"Die Kulisse war die erste Kabarettbühne, die in der Post-Qualtinger-Ära entstanden ist. Wir haben aber von der alten Garde noch einen herübergerettet: Otto Grünmandl ist hier noch aufgetreten", sagt Aumayr. Er selbst verabschiedete sich 1983 nach Spannungen mit seiner damaligen Lebensgefährtin von der Kulisse und gründete mit dem 1999 verstorbenen Wolfgang Teuschl das Spektakel; fünf Jahre später folgte das Vindobona. "Damals war der Bedarf da", sagt Aumayr. Heute würde er keine neue Bühne mehr gründen. "In Wien gibt es jetzt genug Häuser in jeder Größe."

Kindertheater im U-Bahn-Schacht
Apropos Einstieg: Ein solcher in die Karriere war schon für viele Kabarettisten das kleine Theater am Alsergrund, das am 7. Oktober 1995 offiziell eröffnet wurde. Dem gingen turbulente Gründungsjahre voraus, berichtet die Schauspielerin Andrea Schramek, die Anfang der 1990er Jahre mitgeholfen hat, die Bühne aufzubauen. Begonnen hat alles mit den Stachelbären, einer 1992 gegründeten Kindertheatertruppe um Andreas Hutter und Axel Bagatsch. Das Büro war damals in der Dreihackengasse in einem alten Gebäude der SPÖ. "Da gab es oben einen Saal, aber der Andi wollte noch einen eigenen Proberaum", erzählt Schramek. Um die Ecke in der Löblichgasse 5 fand er einen Kohlenkeller, den er 1992 anmietete. "Wir haben in Dreck, Schutt und Staub geprobt, mit einem kleinen Ofen drinnen." Es war überhaupt eine wilde Zeit, auch beim Kindertheater: "Wir haben einmal im U-Bahn-Schacht gespielt, wo jetzt die U3-Station Neubaugasse ist", sagt Schramek. "Das war sehr abenteuerlich damals. Wir fanden es innovativ - nur bei den Förderstellen kam es leider nicht so an."

Doch Hutter war "ein Arbeitstier, ein Getriebener", wie Schramek sagt. Und so setzte er sich in den Kopf, den Kohlenkeller nicht nur herzurichten, sondern ein richtiges Theater daraus zu machen, weil er eine Spielstätte auch für sein eigenes Kabarettprogramm mit Wilfried Radl ("Leben und Sterben") schaffen wollte. Da stieg sein Kompagnon Bagatsch aus. Zunächst aber wurde ein Studio eingerichtet, in dem Schramek unter anderem Workshops veranstaltete. "Da hatten wir schon einen Holzboden drin. Und für unser neues Büro habe ich damals mit meinem Bausparvertrag - das waren 25.000 Schilling - den ersten Apple gekauft", erinnert sich Schramek, die noch heute die Bauarbeiten in lebhafter Erinnerung hat. Auch die Unfälle, die dabei passierten.
Vom rostigen Nagel im Fuß zum Goldenen Kleinkunstnagel

So trat Hutter, der stets Turnschuhe mit dünnen Sohlen trug, einmal auf einen großen rostigen Nagel. Weil er damals nicht gegen Tetanus geimpft war, bestand Schramek darauf, ihn ins Krankenhaus zu bringen. "Das war ein Horror für ihn, weil ihm ein junger Arzt den Fuß auch noch aufgeschnitten hat. Danach war er einige Zeit nicht mehr arbeitsfähig, was er mir nicht verziehen hat." Die Vermutung liegt nahe, dass dieser Vorfall mit dem Nachwuchspreis in Verbindung steht, der seit 1996 im Theater am Alsergrund vergeben wird: dem Goldene Kleinkunstnagel.

Auch Schramek selbst holte sich damals Schrammen: "Ich habe das Emailleschild fürs Theater mit dem Rad geholt, und der Wind hat mich damit umgeworfen. Ich hatte nachher blutige Hände." Was irgendwie zu Hutters Einstellung passte, man müsse "fürs Theater bluten". Einfach war es jedenfalls nicht mit dem Theatergründer, der sein ganzes Geld, das er mit Wohnungsrenovierungen verdiente, in sein Herzensprojekt steckte und mitunter dabei verzweifelte: "Er war ein Getriebener." Und er nahm offenbar auch auf sich selbst wenig Rücksicht. "Während der Bauarbeiten hat er sich fast nur von Cola, Schokolade und Salamisemmeln ernährt."
Suizid eines Kollegen eine Woche nach der Eröffnung
Doch dann kam am 7. Oktober 1995 um 19.30 Uhr der große Moment: Bezirksvorsteher Hans Benke teilte bei der offiziellen Eröffnung des Theaters am Alsergrund - "Es sollte ein Name sein, der so klingt, als hätte es das schon ewig gegeben", sagt Schramek - symbolisch einen Paradeiser, "um fliegende Tomaten auf ewige Zeiten aus dem Theater zu bannen". Mit dabei waren unter anderen Werner Brix und Mike Supancic.
Doch es dauerte nur etwa eine Woche bis zum nächsten Schock: Ein Schauspielkollege aus dem Kindertheater erhängte sich. "Das hat natürlich unseren Beginn überschattet. Wir konnten damit nicht gut umgehen, seine Mutter hat Andi am Grab Vorwürfe gemacht. Aber wir hatten ja nicht gewusst, dass es ihm so schlecht ging." Nach dem Vorfall löste sich das Team halb auf, einige Leute gingen. Schramek blieb bis zur Weihnachtsvorstellung des Kindertheaters im Dezember, dann folgte sie dem Ruf des Volkstheaters, weil Hutter, dem sie versprochen hatte, ihn nicht im Stich zu lassen, "mich de facto nicht mehr gebraucht hat". Es war aber kein fröhlicher Abschied, es blieb ein undefinierbarer ungeklärter, schmerzvoller Brocken zurück, wie Schramek es formuliert. Erst fast zehn Jahre später kehrte sie mit ihrem damaligen Programm in das Kellertheater zurück. "Als ich dann nach der Vorstellung mit Andi reden und wieder lachen konnte, waren wir beide mit der Vergangenheit in Frieden."
Arge finanzielle Nöte 2008 und 2009
Turbulente Zeiten hat übrigens auch die Kulisse erlebt, nämlich im Jahr 2001. Damals stürzte wegen Abrissarbeiten am Nachbarhaus der Theatersaal ein, der Wiederaufbau dauerte sechs Monate. Mehrere Jahre länger zogen sich die Verhandlungen mit den Versicherungen und der Stadt Wien hin, bis 2008 schließlich die endgültige Schließung drohte, wie mangels finanzieller Unterstützung (die Sponsorings waren sukzessive gekürzt worden, während Aumayrs Nachfolger für den umstrittenen Umbau des Vindobona 1,3 Millionen Euro Förderung bekam). Doch so wie ein Jahr später das Theater am Alsergrund, das in Folge zu später Auszahlung der Förderung durch die Stadt in finanzielle Nöte kam, hat sich auch die Kulisse danach wieder aufgerappelt und steht heute unter dem Führungsteam Doris Ringseis, Herwig Thöny und ImkeFunke recht gut da. Ebenso das Theater am Alsergrund, dessen Gründer Hutter 2010 an Darmkrebs starb.
Beim Durchschauen der alten Fotos fällt Schramek auf, "dass wir damals immer im Partnerlook aufgetreten sind". Verheiratet war Hutter allerdings dann mit Cornelia, die heute Auernigg heißt, nachdem sie 2014 Michael Auernigg geheiratet hat. Die beiden führen seit 2011 - nach einem kurzen Intermezzo von Martin Buchgraber und Joachim Brandl - das Theater in der Löblichgasse im Sinne seines Gründers weiter als Sprungbrett für Newcomer. Schramek ist überzeugt, dass es nach den Krisen, die es überstanden hat, "auch die Corona-Krise überstehen wird".•