Beim ersten Lockdown schienen sich die Bühnen vor allem zu fragen: Wie kommen wir durch diese schwierige Zeit? Rasch wurde mit einer Flut an Streaming-Angeboten geantwortet. Etwas zögerlicher begaben sich Theatermacher mit Zoom-Aufführungen, Twitter-Inszenierungen und serienartigen Live-Streams auf die Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten im virtuellen Raum.

Die Online-Plattform Nachtkritik.de ist seit einigen Jahren federführend in der Befragung digitaler Spielräume. Mit dem Brecht-Haus und der Böll-Stiftung wurde nun - online natürlich - die dreitägige Konferenz "Das Postpandemische Theater" durchgeführt. Theatermacher und Medienexperten umkreisten drei Abende lang das Thema, wie sich heute schon Weichen für ein Theater nach Corona stellen ließen. Bevorzugte Streitfrage war, ob das Internet dem Theater neue Spielräume erschließt oder ob das digitale Überangebot dem konzentrierten Bühnengeschehen nicht vielmehr die Show stiehlt.

Bei der Abschlussveranstaltung "Nach der Pandemie? Vom Theater der Zukunft?" ließ der Dramaturg und ehemalige Intendant Matthias Lilienthal in der von Nachtkritik-Redakteur Christian Rakow moderierten Zoom-Konferenz mit der Feststellung aufhorchen, dass er, sofern er wieder Intendant wäre, das Budget für Digitales massiv aufstocken würde. Mit diesem Bekenntnis zum Digitalen Theater als neues Genre mit eigenen Mitteln und Möglichkeiten, nimmt Lilienthal wohl eine Vorreiterrolle ein.

Eine weitere Pionierin in Sachen Digitales am Theater dürfte auch Tina Lorenz sein. Seit Beginn dieser Spielzeit ist sie im Staatstheater Augsburg als Projektleiterin für digitale Entwicklung engagiert. Es ist die erste Planstelle dieser Art an einem deutschen Stadttheater - "wir erfinden diese Stelle gerade neu", so Lorenz über ihre Job-Description. "Das Internet ist eine Kulturlandschaft mit Regeln, die ganz anders sind als am Theater", wesentlich sei, laut Lorenz, dass "das Digitale von Anfang an" mitgedacht werde und "im Spielplan seinen eigenen Platz" habe.

Streitfragen

Lorenz berichtet in der Online-Konferenz auch über eines ihrer ersten Projekte in Augsburg: Die für 31. Oktober geplante Premiere von Ricardo Fernandos Choreografie "Winterreise" konnte wegen der coronabedingten Beschränkungen nicht mehr vor einem Live-Publikum stattfinden, um die erste Ballett-Premiere nicht ganz absagen zu müssen, wurde sie per Live-Stream ins Internet verlegt. Parallel dazu lief auf der Streaming-Plattform Twitch eine Übertragung, die von Lorenz und Dramaturgin Vera Gertz laufend kommentiert und moderiert wurde. "Wir konnten über Twitch, das vor allem in der Gamer-Szene bekannt ist, ein ganz neues Publikum erreichen, das zum Teil zufällig zu uns hereingespült wurde." Lorenz sieht in einer ausgefeilten Einbindung bereits bestehender Online-Kommunikationsformen eine gute Möglichkeit, um neue Öffentlichkeiten für das Theater zu finden.

Kritiker der digitalen Innovationen weisen vor allem darauf hin, dass das Ausweichen in den virtuellen Raum ein Verrat an den Grundpfeilern des Theaters sei - physische Präsenz, Aura des Moments, Flüchtigkeit eines einzigartigen Augenblicks. Entlang dieser einander derzeit noch feindlich gegenüberstehenden Positionen wird wohl künftig über das Digitale Theater debattiert werden. Die Gretchenfrage über die Zukunft des neuen Genres wird sich aber bei den Budgetplanungen stellen: Gibt es Geld dafür oder nicht? Lorenz sagt am Ende der Konferenz klipp und klar: "Digitales Theater kostet genau so viel wie reales Theater, es besteht nicht aus dünner Luft, nur weil es im Internet stattfindet."