Rastlos dahineilend, kompakt und mit knalligen Farben musiziert, beinahe schon gedrängt, überstürzt. Die Liebe, oder vielleicht besser das Begehren, sie haben es eilig an diesem ersten Advent-Sonntag. Und mit ihr die Noten, in die sie gegossen sind. Schon die Ouvertüre dieses "Figaro" aus dem Theater an der Wien stellt die Betriebstemperatur der ganzen Opernproduktion ein. Stefan Gottfried am Pult des konzentrierten, mitunter furiosen Concentus Musicus hält das Tempo und die musikalische Dichte dann auch die ganze Oper hindurch aufrecht.
Das Ergebnis hört sich mitunter an wie ein tönender Angriff des Eros, wie ein Wirbelwind, der durch die Partitur hindurch fegt. Besser gesagt, durch das Destillat, das von der Mozart-Oper "Le nozze di Figaro" übrig geblieben ist. Ohne Pause spielbar, lautete die klare Corona-Vorgabe des Theaters an das Leading-Team. Die geplante Premiere Mitte November fiel dann trotzdem dem Lockdown zum Opfer und wurde nun mit einer Übertragung digital in die Wohnzimmer nachgeholt.
Gekürzte Corona-Fassung
Um etwa eine Dreiviertelstunde kürzer dauert diese Corona-Fassung der komplexen Mozart-Oper. Ob man den vielen Intrigen-Strängen da als "Figaro"-Neuling noch folgen kann, bleibt fraglich. Zeit zum Verweilen ist jedenfalls szenisch wie musikalisch kaum. Vielleicht noch in der "Dove sono"-Arie der Gräfin (lyrisch, elegant und doch intensiv: Cristina Pasaroiu) oder in Susannas Rosenszene (erfrischend hell, emotional stark: Giulia Semenzato).
Dafür gibt es viel Raum für die jugendlich erotischen Verwirrungen des Cherubino (bezaubernd und trotz stimmlicher Leichtigkeit bebend: Patricia Nolz), und noch viel mehr für Energie für das Zürnen und Toben des Grafen. Florian Boesch singt und spielt ihn als gewichtige Charakterpartie eines Rasenden, eines gewaltbereit Schäumenden, am Sinken seiner Macht aufrecht Verzweifelnden. Zwischen diesen beiden Aggregatzuständen des Begehrens schwankend ist da Robert Gleadow als Figaro: dynamisch, agil und das virile Zentrum der Oper.
Ein Abend, der stets auf der höchsten Eskalationsstufe dahineilt, das ist diese Produktion auch szenisch betrachtet. Spielort ist eine verlassene, abgewohnte Zimmerflucht, die wenigen Möbel sind abgehängt, ein einsames Eisbärenfell wärmt da optisch kaum.
Doch die Gluthitze steckt in den Figuren, die durch diese trostlosen Räume stolpern. Innen ist es dämmrig, draußen finster, greller Mondschein wirft markante Schatten an die Wand: Bei seinem Opern-Regiedebüt setzt Kabarettist Alfred Dorfer mit Ko-Regisseurin Kateryna Sokolova auf die emotionalen Abgründe in den Figuren, auf ihre Wahnvorstellungen und Ängste. Im Außen finden sie keinen Halt. Diese emotionale Dichte in den leeren Räumen funktioniert und erzeugt einen nie abreißenden Sog. Doch das Szene gewordene innere Gruselkabinett der Figuren ist auf Dauer monoton, auch Intensität kann ermüden - auch eine Schattenseite der Kürzungen. In der TV-Übertragung wirken zudem die Gesten überzeichnet, subtil bleibt wenig.
Atemlose Dramatik
Was man Dorfer und Sokolova zugutehalten muss: Sie stülpen der Oper nichts über, nehmen ihre Figuren ernst und deren Emotionen persönlich. Das Resultat lässt sich schon nicht mehr als feine Psychologisierung bezeichnen, es ist vielmehr eine zusätzliche Dramatisierung. Das fein gestrickte Stück selbst bekommt kaum Luft unter so viel Intensitätslast.
Es ist gut möglich, dass diese Produktion live im Theater erlebt ein gänzlich anderer Opernabend ist. Dass die Bilder stärker wirken, die Emotionen weniger überzeichnet. Ganz sicher jedenfalls wird dieser "Figaro" anders klingen ohne technische Aussteuerung, den großen Klangraum ausfüllend und nicht durch TV-Boxen gequetscht. Trotz der Kompression und der daraus entstehenden Schwächen: Das digitale Destillat jedenfalls macht neugierig. Und hoffnungsfroh, der Musik schon ganz bald im Theater selbst wieder zu begegnen.