Wäre alles nach Plan gelaufen, hätte es zu Jahresbeginn die glanzvolle Wiedereröffnung des frisch renovierten Volkstheaters mit einem Premierenfeuerwerk gegeben. Stattdessen: Lockdown-Verlängerung, derzeit bis nach Ostern.
Mit ersten Projekten führt Kay Voges nun in seine Spielzeit als neuer Intendant ein. Die Reihe "Volkstheater in den Bezirken" eröffnete bereits mit dem Talk-Show-Stream "Recherche Show". An diesem Wochenende können Besucher erstmals wieder das Haupthaus betreten.
Die "Wiener Zeitung" sprach mit Kay Voges über diesen alles andere als gewöhnlichen Beginn und seine weiteren Vorhaben.
"Wiener Zeitung": Der Audio-Walk "Black Box" von Rimini Protokoll ist der Auftakt Ihrer neuen Intendanz. Die Eröffnung, ursprünglich für Anfang Jänner angedacht, musste laufend verschoben werden. Wie gehen Sie mit den coronabedingten Unwägbarkeiten um?
Kay Voges: Es ist die reinste Sisyphosarbeit! Kaum hat man einen Plan geschmiedet, muss man ihn auch schon wieder verwerfen! Es ist anstrengend, aber da ergeht es uns nicht viel anders als dem überwiegenden Teil der Bevölkerung. Camus schrieb, man müsse sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen - und die Freiheit erkennen, die einem aus scheinbar ausweglosen und absurden Momenten erwächst. Eine Aufführung wie "Black Box" hätte es im Volkstheater ohne Corona vermutlich nie gegeben. Das Publikum flaniert, angeleitet vom Audio-Walk, auf sich allein gestellt durch das Haus, lernt so die Bühne, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf völlig neue Weise kennen. Gerade weil sämtliche Theater schon so lange geschlossen sind, vermag dieser Abend eine ganz eigene Poesie zu entfalten. Ursprünglich waren wir mit Rimini Protokoll über eine ganz andere Produktion im Gespräch. Der Lockdown machte diesen und manch andere Pläne aber zunichte. Dafür zeigen wir nun ein Ernst-Jandl-Stück: "der raum. ein szenisches gedicht für beleuchter und tontechniker". Wer weiß, ob wir ohne Pandemie je darauf gekommen wären?
Inwiefern?
Jandls Text besteht im Grunde nur aus Regieanweisungen für Licht- und Tontechnik. Eine ideale Vorlage, um den Möglichkeitsraum Theater auszuloten - die Schönheit von Architektur, den Raum und Klang. Die Idee entstand übrigens, als wir über das Eigenleben von Bühnenräumen nachdachten, die inzwischen in sämtlichen Theatern verwaist sind, unbelebt bleiben müssen.
Geplant waren auch Stücke von Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek sowie die heimischen Nachwuchsdramatiker Fiston Mwanza Mujilaund und Lydia Haider. Bleibt es dabei?.
Wir halten an diesen geplanten Stücken immer noch fest. Ich bin ein großer Fan österreichischer Sprachkunst! In diesem Land findet man, gemessen an seiner Größe, eine unbeschreibliche Vielzahl an außergewöhnlichen Autorinnen und Autoren. Seinerzeit wurde am Volkstheater Schnitzler uraufgeführt - was bekanntlich einen Skandal auslöste. Wir fühlen uns dieser Tradition verpflichtet: Uraufführungen sollen weiterhin eine tragende Säule des Volkstheaters bleiben.
Die Uraufführung von Haiders Stück "Zertretung - 1. Kreuz brechen oder Also alle Arschlöcher abschlachten" werden Sie selbst herausbringen. Was fasziniert Sie an dem Text?
Lydia Haider zählt zu den radikal neuen Stimmen der österreichischen Literatur. Ihre Texte kommen meinem Traum von Theater sehr nahe: Die Autorin will das scheinbar Nicht-Darstellbare auf der Bühne zeigen. Ihre Regieanweisungen sind so unfassbar, wie ich es sonst nur von Sarah Kane kenne, ganz nach dem Motto: Nur wer das Unmögliche anstrebt, vermag das Gewöhnliche hinter sich zu lassen. Haider schafft das mit Fantasie und Sprachfuror, sie ist zugleich poetisch und radikal.
Das Volkstheater hatte in den vergangenen Jahren einen schweren Stand, weil es um ein eigenständiges Profil zwischen Burgtheater und Josefstadt zu kämpfen hatte. Korrekt?
Ich möchte nicht, dass sich das Profil des Volkstheaters durch Abgrenzung zu anderen, bestehenden Häusern definiert. Das Volkstheater besitzt unglaubliches Potenzial, wir sind ein tolles Team und nehmen die Herausforderung gern an, mutiges und leidenschaftliches Theater zu machen - auch mit weniger Geld als das Burgtheater. Natürlich haben wir auch mit Problemen zu kämpfen. Wir müssen uns nicht nur mit Corona herumschlagen, sondern befinden uns im Finale einer langwierigen Generalsanierung. Dennoch überwiegt die Aufbruchsstimmung. Trotz Bohrmaschine und Mundschutz - es bereitet einem große Freude, hier sein zu dürfen.
Ihre Vorgänger beklagten die vergleichsweise geringe Dotierung. Sie haben dagegen eine Erhöhung von drei Millionen Euro erhalten. Reicht das Geld?
Das ist eine große Erleichterung, und ich bin wirklich sehr dankbar dafür. Das zusätzliche Geld verschafft uns Luft. Sorgen bereitet mir allerdings, dass die Fördermittel nicht an die Tariferhöhungen angepasst sind. In wenigen Jahren wird die Erhöhung von der Inflation geschluckt sein, zusätzlich müssen wir uns sorgfältig um unseren Eigenanteil und um die Sanierungskosten kümmern. Verglichen mit Häusern in Deutschland, die ähnlich wie das Volkstheater dimensioniert sind, fehlen im Budget noch immer an die neun Millionen Euro.
Sie engagieren die Choreografin Florentina Holzinger, den Musiker Ragnar Kjartansson, den bildenden Künstler Jonathan Meese. Was suchen Sie in der Zusammenarbeit mit theaterfernen Künstlern?
Theater ist Gegenwartskunst, die sich von Augenblick zu Augenblick wandelt, daher tut man gut daran, laufend die Perspektive zu verändern. Wir behaupten nicht, zu wissen, wie Gegenwartstheater geht, wir wollen es aber herausfinden. Deshalb sind wir offen für Inspirationen aus allen Kunstrichtungen, für Ideen aus Wissenschaft und Forschung. Wir beabsichtigen, ein breites Spektrum an künstlerischen Handschriften zu zeigen. Den typischen Volkstheater-Stil wird es nicht geben. Wir werden vielmehr durch verschiedene Theaterformen mäandern, unterschiedliche Kunstformen einbeziehen.
Sie sind dafür bekannt, die digitale Revolution am Theater voranzutreiben. In der Corona-Zwangspause versuchten sich etliche Bühnen an digitalen Angeboten - mit unterschiedlichem Ertrag. Wird das digitale Theater nun als eigenständiges Genre etabliert? Oder bleibt es Krisenfüller und Marketingmaßnahme?
Vieles, was wir in den vergangenen Wochen und Monaten gesehen haben, wird nach der Pandemie keine Zukunft haben - siehe das eher schlichte Abfilmen und Streamen von Aufführungen. Es waren aber auch Formate zu entdecken, die über Corona hinausweisen werden, bei denen versucht wurde, Theater und Internet auf neuartige Weise zu koppeln. Wie können wir digitale, mittlerweile alltägliche Mittel auf der Bühne einbinden? Mich interessieren vor allem auch inhaltliche Fragen: Das Digitale durchdringt unser Leben auf vielfältige Weise, verändert unsere Wahrnehmung und Kommunikation grundlegend, wir nehmen die Welt fragmentierter, komplexer und widersprüchlicher wahr als jemals zuvor. Was bedeutet das fürs Theater? Wir sollten auf der Bühne auch von diesen Widersprüchen erzählen, von der Schönheit der Komplexität.