Ob man Stanisław Lem einen Science-Fiction-Autor nennen sollte, darüber scheiden sich die Geister: Die Zukunftsszenarien des Polen kommen ohne Laserpistolen und Schleimmonster aus. Fest steht allerdings, dass der Pole kein Lobhudler gegenüber seinen Zeitgenossen war. Was Andrei Tarkowski aus seinem Bestseller "Solaris" gemacht hatte, rang ihm wenig Respekt ab. Auch als sich Hollywood zu einer Verfilmung des Stoffs anschickte, erwartete sich der scharfzüngige Schriftsteller herzlich wenig. Sein Roman lasse sich nicht zerhacken, "um den Rest als Brei mit Mayonnaise zu servieren", erklärte er 2003, wenige Jahre vor seinem Tod, in einem Interview.
So will man es lieber gar nicht wissen, was Lem über die verschiedenen Opernversionen seines Kultromans gesagt hätte. 2012 debütierte die Fassung von Detlev Glanert bei den Bregenzer Festspielen: Sie punktete mit grandiosen Klangbildern, litt aber an einem Textbuch, das die schönsten Romansätze zu einem dubiosen Ratatouille zusammengefügt hatte.
Da macht die Fassung der Japaner Saburo Teshigawara (Text) und Dai Fujikura (Musik) einen kompakteren Eindruck. Ihr Musiktheater ist am Dienstag im Semperdepot vor einer Handvoll Kritikern in englischer Sprache aufgezeichnet worden und soll ab Mitte Mai auf der Website des Veranstalters, der Neuen Oper Wien, zu sehen sein.
Solaris - das ist eine Lebenform, wie sie sich nur Lem ausdenken konnte: ein Planet, umgeben von einem intelligenten Plasma-Ozean. Irgendwie nimmt er Verbindung mit den Astronauten über ihm auf, schickt ihnen Kopien jener Menschen, mit denen sich tiefe Schuldgefühle verbinden. Im Falle von Kris Kelvin ist dies die verstorbene Ehefrau: Sie kehrt aus Fleisch und Blut zurück, aber im Bewusstsein ihrer Unwirklichkeit. Ist sie nun menschlich oder außerirdisch? Studienobjekt oder die zweite Chance auf Eheglück? Und was bezweckt der Ozean? Lem ist in "Solaris" nicht nur als Erzähler in Hochform, sondern auch als philosophischer Gedankenspieler.
Schade, aber auch verständlich, dass sich Teshigawara und Fujikura mit der intellektuellen Substanz nicht überheben wollen und sich auf den Hauptstrang konzentrieren: 90 Minuten pendeln Kelvin (mit dunkler Schallmacht: Timothy Connor) und die wiedergeborene Hari (sanftstimmig bis überwältigend: Simona Eisinger) zwischen Liebeshoffnung und Irritation - wobei sich Letztere noch durch ein Alter Ego steigert, das die Seelennöte des Forschers impulsiv heraussingt (Christian Kotsis). Videos und Mikrofon-Effekte verleihen diesem Anlieben gegen widrige Umstände einen irrealen Touch, die Regie (Helen Malkowsky) dagegen mutet teilweise befremdlich an: Der verliebte Kelvin verspinnt sich allmählich in rosa Damenwolle; Astronaut Snaut hantiert, warum auch immer, mit Holzbrettern.
Dafür befeuert atonale Musik die Kraft dieses "Solaris"-Wiedergängers. Fujikura gießt den Gefühlshaushalt der Figuren in lodernde Deklamationen und umgibt diese mit einem irrlichternden Soundtrack: Die wabernden, pulsierenden, schwirrenden Klangflächen wirken wie ein Pendant zu Lems Plasma-Ozean, der an der Planetenoberfläche ein rätselhaftes Formenspiel treibt. Zuletzt (verhältnismäßig) voller Applaus für die Sänger und das amadeus ensemble-wien unter Walter Kobéra.