Geht Barockoper im großen Haus? Funktioniert Alte Musik an der Wiener Staatsoper? Ein ewiges Streitthema. Die Argumente dagegen? Vielzählig: zu klein besetzt die spezialisierten Ensembles, zu wenig tragfähig die historischen Instrumente, zu zart der Klang der Barockstimmen. Sie alle Lügen straft die jüngste Produktion im Haus am Ring: Claudio Monteverdis "L’incoronazione di Poppea", bei der eine Wiener Institution ihr - nachträglich betrachtet - längst überfälliges Hausdebüt gab: der Concentus Musicus. Dessen 2016 verstorbenem Gründer, dem Klangpionier Nikolaus Harnoncourt widmete das Haus folgerichtig die Premiere am Samstag.

Der Klang jedenfalls, den Dirigent Pablo Heras-Casado dem personell stark aufgestockten Concentus dabei entlockte, der füllte die Staatsoper bis in den letzten Winkel - facettenreich, mit üppigen Farben ausgestattet, knarzend vor Reibflächen, satt an rauchigen Zwischentönen. Mit diesem sensationellen Debüt setzt der Concentus nicht nur ein vitales Zeichen in Sachen Originalklang, sondern geht seinen Weg als Pionier der Aufführungspraxis im 21. Jahrhundert mutig weiter.

Starke Debüts: Slávka Zámeníková (Poppea), Kate Lindsey (Nero) und Solotänzer Camilo Mejía Cortés. - © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Starke Debüts: Slávka Zámeníková (Poppea), Kate Lindsey (Nero) und Solotänzer Camilo Mejía Cortés. - © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Entsprechend kraftvoll auch die Stimmen: Neo-Ensemblemitglied Slávka Zámečníková strahlte als Poppea voll klarer Eleganz und seelenvoller Emotion, Kate Lindsey als Nerone paarte absolute vokale Souveränität mit burschikoser Spielfreude als ein Kaiser zwischen Machtrausch, Wahn und Wollust.

In diesen beiden Frauenstimmen offenbarte sich das große Paradoxon dieser Oper: die vollendete Klang-Schönheit, in die Monteverdi die scheußlichsten Abgründe und brutalsten Gräuel menschlichen Tuns kleidete. Rund um das zentrale vokale Paar spannende Debüts: Countertenor Xavier Sabata als rauchig menschlicher Ottone, Willard White als klangsatt stoischer Seneca und Christina Bock als schmerzerfüllte verstoßene Kaiserin Ottavia.

Die drei streitenden Göttinnen des Prologes haben so gar nichts Erhabenes, dafür sitzt das Orchester deutlich höher. - © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Die drei streitenden Göttinnen des Prologes haben so gar nichts Erhabenes, dafür sitzt das Orchester deutlich höher. - © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Was Jan Lauwers bei seinem Opern-Regiedebüt - die Produktion kam 2018 bei den Salzburger Festspielen heraus - dazu auf die Bühne stellt, steht der klanglichen Umsetzung an barocker Pracht um nichts nach. Eine Tänzerschar verleiht Musik und Geschehen eindringliche Körperlichkeit. Lauwers begegnet der Oper assoziativ, formt mit Körpern lebendige Gemälde, macht das Vergehen der Zeit ebenso erfahrbar wie die Gewalt des Begehrens. Er studiert Freudentaumel in Zeitlupe und den Wimpernschlag der Vergänglichkeit. Alles ist im Fluss, dreht sich, bewegt sich.

Rund um Xavier Sabata als Ottone verschmelzen Gesang und Schauspiel, Malerei und Tanz an der Staatsoper zu einer harmonischen Einheit. - © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Rund um Xavier Sabata als Ottone verschmelzen Gesang und Schauspiel, Malerei und Tanz an der Staatsoper zu einer harmonischen Einheit. - © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Erst im letzten Bild dann ein Moment der Intimität, der Ruhe und der Reduktion auf die Musik. Das finale Duett "Pur ti miro" lässt Lauwers Kate Lindsey und Slávka Zámečníková auf einer Bühnen-Insel im erhöht sitzenden Orchester singen, der Rest des Geschehens versinkt in Zeitlupe und in Dunkelheit. Ein schaurig schöner, zeitlos entrückter Opernmoment, der bewusst machte, was wir in den vergangenen Monaten schmerzlich vermisst haben.