Als sie die Präsidentschaft der Salzburger Festspiele übernahm, gab es weder Smartphones noch Internet für die breite Masse: Seit 1995 steht Helga Rabl-Stadler an der Festspielspitze und hat in dieser Zeit mit sechs Intendanten zusammengearbeitet, von Gerard Mortier bis zum aktuellen Leiter Markus Hinterhäuser. Nach 27 Jahren scheidet die Salzburgerin nun Ende Dezember aus dem Amt; im Interview spricht sie über ihre Nachfolgerin Kristina Hammer, die Höhen und Tiefen der eigenen Ära und die Corona-Krise.

"Wiener Zeitung": Während der Pressekonferenz im Herbst, als Ihre Nachfolgerin vorgestellt wurde, entstand unfreiwillig eine längere Pause: Kristina Hammer schien nicht zu wissen, wann sie vor die Kamera treten soll. Sie, Frau Rabl-Stadler, sind dann kurz entschlossen nach hinten geeilt und haben sie ans Podium geholt. Muss man als Präsidentin alles selber machen?

Helga Rabl-Stadler: Manchmal muss man den erlösenden ersten Schritt machen.

Wann haben Sie Frau Hammer kennengelernt?

Am Tag ihrer Wahl, eine halbe Stunde vor der Pressekonferenz.

Das war am 24. November. Wann haben Sie mit der Übergabe begonnen?

Bereits am nächsten Tag haben wir uns das Zimmer und meine beiden wunderbaren Mitarbeiterinnen geteilt. Ich möchte ihr den Anfang leichter machen.

Wie schwer wird es Ihnen fallen, gegen den Reflex des Mitmischen-Wollens anzukämpfen? 2024 soll die Generalsanierung und Erweiterung der Festspielhäuser beginnen; Sie waren maßgeblich an diesem Großprojekt beteiligt.

Bereits seit 2017 ist Lukas Crepaz, unser Kaufmännischer Direktor, dabei federführend. Er macht das mit so viel Engagement, dass ich sicher keine Mitmisch-Reflexe entwickle.

Kristina Hammer ist Marketing-Expertin. Lässt sich die "Marke" Salzburger Festspiele "schärfen", wie sich dies das Kuratorium wünscht? Ist die Analogie mit einem Warenetikett vertretbar?

Was sich das Kuratorium mit "Marke schärfen" gedacht hat, müssen Sie dieses fragen. Die Salzburger Festspiele sind ein Mythos. Und gerade unserem jetzigen Intendanten Markus Hinterhäuser gelingt es durch seine Programmatik, diesen Mythos zu befeuern. Marketing für die Website, für das Ticketing brauchen wir selbstverständlich, und da wartet auf Kristina Hammer ein weites Betätigungsfeld.

Die Salzburger Festspiele werden stark subventioniert; das Festival droht dadurch allerdings mitunter zum Spielball der Politik zu werden. Wie sehr sollte eine Festspielpräsidentin politisch vernetzt sein? Sie waren vor Ihrer Amtszeit ja lange für die ÖVP tätig.

Wir werden nicht stark subventioniert. Wir nehmen fast die Hälfte, zwischen 45 und 48 Prozent unserer Kosten, durch Kartenverkäufe ein und 12 Prozent durch Sponsoren. Inklusive unserer weiteren Einkünfte haben wir für einen Kulturbetrieb die ungewöhnlich hohe Eigenwirtschaftlichkeit von zirka 75 Prozent. Dass ich politisch bei ÖVP, SPÖ, Neos und den Grünen vernetzt war und bin, hat den Festspielen geholfen. Aber das hört man im allgemeinen Politikerbashing heute ungern.

Inwiefern haben sich die Salzburger Festspiele während all der Jahre Ihrer Amtszeit verändert?

Es gelingt uns der für die Festspiele so wichtige Spagat. Wir sind tiefer verwurzelt in der Region als zu Herbert von Karajans Zeiten - auch durch unser Jugendprogramm - und gleichzeitig internationaler geworden mit Besuchern aus 80 Ländern, davon 35 nicht europäische.

Bei Ihrem Amtsantritt stand angeblich noch das Wort "Präsident" auf dem Türschild. Als Sie eine Änderung auf "Präsidentin" verlangten, hieß es, das zahle sich wohl gar nicht aus. Stimmt diese Anekdote?

Ja, sie stimmt. Eine Frau in der wichtigen Rolle der Präsidentschaft wollten sich die wenigsten vorstellen.

Ist es für Frauen in Führungspositionen heute einfacher geworden?

Ja, das ist es. Auch, aber nicht nur durch die Drohung mit der Quote. Man hätte es sich auch nicht mehr leisten können, im Dreierdirektorium der Salzburger Festspiele ab 2022 keine Frau zu haben.

Während Ihrer Amtszeit gab es immer wieder Konflikte zwischen den Wünschen der Intendanten und den Vorgaben des Kuratoriums. Mitunter gipfelte das in Schlagzeilen. Waren Ihnen solche Streitigkeiten unangenehm? Und inwiefern mussten Sie dabei selbst Partei ergreifen?

Das gilt besonders für die Zeit von Gerard Mortier und jene von Alexander Pereira. Mortier suchte Reibebäume und lief im Konflikt zur Hochform auf. Da tat ich mir oft schwer, denn ich bin besser in der Harmonie.

Gab es Intendanten, über deren Abgang Sie nicht unfroh waren?

Jeder der Intendanten, mit denen ich arbeiten durfte, hat den Festspielen etwas Wichtiges und Richtiges hinterlassen.

Was war die dunkelste Zeit Ihrer Präsidentschaft? Womöglich das Jahr 2010, als das Festival am Rande in den Finanzskandal der Salzburger Osterfestspiele verwickelt wurde?

Ja, das war auch menschlich eine große Enttäuschung. Aber glücklicherweise konnte ich mit Hilfe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine neue Vertrauensbasis legen. Das war sicher das Jahr meiner Bewährung, die ich ziemlich gut bestanden habe.

Was würden Sie den glanzvollsten Moment Ihrer Ära nennen?

Nicht der glanzvollste, der schönste Moment: Das war dank dem damaligen Intendanten Peter Ruzicka sicher das Jahr 2006. 22 Mozart-Opern bei den Salzburger Festspielen stellten alles in den Schatten, was anderswo zu Mozarts 250. Geburtstag gespielt wurde. Und das neue Haus für Mozart machte uns baulich für dieses Fest bereit.

In der Pandemie sind die Salzburger Festspiele bisher finanziell mit "einem blauen Auge davongekommen", wie es heißt. Haben Sie Angst, das Festival könnte ins Minus rutschen, wenn das Virus eine Bedrohung bleibt?

Künstlerisch betrachtet haben die Salzburger Festspiele kein "blaues Auge" davongetragen, im Gegenteil: Wir waren das Leuchtturmprojekt des Jahres 2020, in dem die meisten anderen Festivals abgesagt haben. Finanziell kamen wir dank des sehr guten Kartenverkaufs, den Förderungen durch die öffentliche Hand und der Treue unserer Sponsoren und unseres Freundeskreises über die Runden. Aber das Virus bleibt eine Riesenbedrohung. Da der Kartenverkauf unsere wichtigste Einnahmequelle ist, ist jede Platzbeschränkung und jedes Ausbleiben des Publikums gefährlich.

Wie lange wird es wohl dauern, bis Sie schon beim Aufwachen wissen: Nein, ich muss nicht mehr ins Festspielbüro?

Ich musste ja nicht ins Festspielbüro, ich wollte ja! Das macht es schwerer. Aber ich musste ja nicht, ich wollte ja aufhören, das macht es leichter.

Was machen Sie ab 2022 mit Ihrer Zeit? Bücher schreiben? Mehr reisen?

Die letzten zwei Jahre waren besonders fordernd. Dadurch hatte ich oder nahm mir keine Zeit, an die Zeit danach zu denken.

Könnten Sie es sich, trotz Ihres Dementis, vielleicht doch vorstellen, bei der Bundespräsidentenwahl anzutreten?

Nein.