Kay Voges leitet seit 2020 das Wiener Volkstheater. Die Pandemie überschattet den Neuanfang, und die Bühne leidet unter Publikumsschwund. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" analysiert der Intendant die prekäre Situation und erklärt, warum er die Zwangspause freiwillig bis 7. Jänner verlängerte.
Nach "Ach, Sisi", einem royal-rockigen Liederabend rund um die Habsburger-Ikone, findet am Samstag, 15. Jänner, die nächste Premiere im Volkstheater statt: Claudia Bauer inszeniert "humanstää", eine "Abschaffung der Sparten" nach Ernst Jandl.
"Wiener Zeitung":Seit Beginn Ihrer Amtszeit ist die Zahl der Abonnenten von 2.500 auf 250 gefallen, die Auslastung auf 45,5 Prozent gesunken. Was ist schiefgelaufen?
Kay Voges: Der Hauptgrund ist natürlich Corona. Die Maßnahmen rund um die Pandemie halten viele Besucherinnen und Besucher nach wie vor davon ab, ins Theater zu gehen. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis wir wieder das Vor-Pandemie-Niveau erreicht haben. Viele sind schlichtweg nicht mehr daran gewöhnt, ins Theater zu gehen, und falls doch, sucht man eher vertraute Orte auf, man geht auf Nummer sicher. Das Neue hat es unter diesen Bedingungen besonders schwer. Das Volkstheater wurde im Jänner 2020 geschlossen, zunächst wegen der Renovierung, dann kam der Lockdown. In dieser langen Zeit der Zwangspause haben wir die meisten Abonnenten verloren. Das ist wichtig: Abos wurden nicht gekündigt, weil Abonnenten enttäuscht von unserem Programm waren, sondern weil wir so lange geschlossen waren. Wir fangen also in diesem wunderschönen Haus wieder einmal bei null an. Unsere nächsten Premieren sind indes bereits fast ausverkauft, das gibt mir Hoffnung, dass man in dieser Stadt neugierig auf unser Theater ist.
Seit Saisonstart konnten Sie elf Premieren, 185 Veranstaltungen, zehn Konzerte und ein Mini-Festival in sechs Spielstätten des Volkstheaters umsetzen, kaum etwas wurde vom Publikum gut angenommen. Haben Sie sich verzettelt?
Nein, gar nicht. Einer theaterbegeisterten Stadt wie Wien kann man gar nicht genug anbieten. Zu Saisonbeginn gab es aber eine noch nie dagewesene Premierenfülle, sämtliche Bühnen haben praktisch gleichzeitig ihre durch die Pandemie geschobenen Aufführungen gezeigt. Das Volkstheater erhielt anfangs nicht die Aufmerksamkeit, die es verdient hätte. Woche für Woche konnten wir ein gewisses Wachstum bemerken, bis wir im Spätherbst mit dem nächsten Lockdown wieder ausgebremst wurden ...
... den Sie freiwillig verlängert haben, sämtliche Bühnen haben seit 12. Dezember wieder geöffnet, nur das Volkstheater spielt erst seit 7. Jänner. Das stieß auf viel Kritik. Gerade wenn man Theater als Institution ernst nimmt, müsste man doch spielen, sobald es nur geht?
Absolut. Ich kann Ihnen versichern, dass ich alles zum Wohl des Volkstheaters tue. Wenn wir von heute auf morgen aufsperren, haben wir keine Abonnenten, die schon auf uns warten, da kommt erst mal niemand. Um unser Publikum erneut anzusprechen, brauchen wir einen längeren Vorlauf, daher haben wir uns aus künstlerischen und wirtschaftlichen Überlegungen, aber auch aus Sorgfaltspflicht gegenüber unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Ende November entschieden, erst am 7. Jänner aufzumachen. Jetzt sind wir aber wieder da und geben unser Bestes.
Sie haben das Ensemble von Grund auf erneuert, arbeiten mit herausragenden Kräften, die hierzulande aber kaum jemand kennt. Erwägen Sie eine Kurskorrektur?
Nein, ich bin glücklich mit dem Ensemble, wie es ist. Wir brauchen nur ein bisschen mehr Zeit, um die Herzen der Wienerinnen und Wiener zu erobern. Dass das Neue mehr Kraft und Geduld braucht, war uns von vornherein klar, aber von der Presse wurde viel Aufhebens um die Auslastung gemacht. Wir wurden sofort als Problemfall bezeichnet. Das ärgert mich.
Das Volkstheater wurde nicht aus Jux und Tollerei so bezeichnet. Die schlechten Zahlen sind eine Tatsache, das Haus wird mit Steuergeldern finanziert, da besteht ein öffentliches Interesse an den Ergebnissen.
Fraglos, aber wir befinden uns gerade mitten in einer Pandemie. Da können doch nicht dieselben Maßstäbe wie in Vor-Pandemie-Zeiten herangezogen werden. Das wird in keinem Bereich des öffentlichen Lebens gemacht - weder in der Bildung noch im Gesundheitswesen. Überall wird anerkannt, dass unter Extrembedingungen gearbeitet wird. Das sollte auch für die Kultur gelten. Mit 45 Prozent Auslastung liegen wir derzeit nur etwa 20 Prozent unter dem Vor-Pandemie-Niveau. Einen Publikumsschwund in dieser Höhe verbuchen derzeit leider viele Bühnen.
Versuchen Sie gerade, das schlechte Ergebnis schönzureden?
Nein, aber der Alarmismus bringt einen auch nicht weiter. Das Volkstheater wird seit Jahrzehnten schlechtgeredet. Das muss ein Ende haben. Trotz der langen Schließung haben wir in dieser absoluten Ausnahmesituation unglaublich viel auf die Beine gestellt und tolle Theaterabende erschaffen. Wir bereichern das Wiener Kulturleben, machen gegenwärtiges Theater mit einem erstklassigen Ensemble.