Skandal! Das war es, was dem am Sonntagabend in Berlin verstorbenen Regisseur anhaftete. Seine Inszenierung von Johann Strauss Operette "Die Fledermaus" bei den Salzburger Festspielen im Sommer 2001 etwa ist als eine der größten Publikumserregungen der Festspiele in deren Annalen eingegangen.
Der am 31. Mai 1941 in Krefeld geborene Neuenfels, der am Wiener Reinhardt Seminar studierte und hier seine Frau, die österreichische Schauspielerin Elisabeth Trissenaar, kennenlernte, war in Paris Assistent des surrealistischen Malers Max Ernst, ehe er, über Regie-Stationen an Wiener Kellerbühnen und deutschen Provinztheater, 1972 nach Frankfurt am Main geht und dort Schauspiel wie Oper umkrempelt.
Vor allem seine Zusammenarbeit mit dem späteren Frankfurter Generalmusikdirektor Michael Gielen geht in die Geschichte ein: Er zeigt Giuseppe Verdis "Aida" als Putzfrau und Franz Schrekers "Die Gezeichneten" als Drogenrausch mit Heroinspritze auf der Bahnhofstoilette. Beides sind Skandale erster Güte – beides zeigt – zu einer Zeit, da Opern vielfach als Kostümschinken gespielt werden–, dass neue Lesarten die Aufmerksamkeit von den Stars weg hin zu den Stücken lenken.
Reibeflächen suchen
"Diese Ausschläge waren nie beabsichtigt, sondern ergaben sich aus der Beschäftigung mit Dichtung und Musik", sagte Neuenfels einmal in einem Interview mit der "Wiener Zeitung". "Komponisten und Schriftsteller waren nie gesellschaftskonform. Indem man ihre Werke für die Bühne interpretiert, führt man ihre Gedanken weiter und stößt zu Themen vor, die zu bestimmten Zeiten Reibung erzeugen."
Neuenfels arbeitet auf der Theater- wie auf der Opernbühne mit der gleichen Lust an solcher Reibung. So inszenierte er Roger Vitracs "Victor oder Die Kinder an der Macht" in Wien mit Klaus Maria Brandauer, Heinrich von Kleists "Penthesilea" am Berliner Schillertheater (mit Elisabeth Trissenaar in der Titelrolle) und am gleichen Haus William Shakespeares "Ein Sommernachtstraum" mit Bernhard Minetti, dann wieder am Wiener Burgtheater "Das Käthchen von Heilbronn" und für das Zürcher Schauspielhaus Frank Wedekinds "Lulu".
Fast ein Fall von Zensur: 1983 führt Neuenfels Regie bei seiner imaginären Jean-Genet-Biographie "Reise in ein verborgenes Leben", die im ARD ausgestrahlt werden solle. Doch dem Sender ist das Eisen zu heiß: Zuviel Fäkalsprache, zuviel Homosexualität lautet der Befund. Erst 2020 läuft der Film – nicht im Programm, sondern online.
Um Intendanzen hat sich Neuenfels kaum gerissen: Von 1986 bis 1990 leitet er das Theater der Freien Volksbühne in der Nachfolge von Kurt Hübner. Zuviel Verwaltungskram, zuwenig Kreativität – lieber Werke ausloten. "Le prophète" etwa. Giacomo Meyerbeers Oper gerät an der Wiener Staatsoper zum Vorfeld-Skandal: Neuenfels will dem vermeintlich gesunden Landleben durch eine Sodomieszene mit einem Schwein zuleibe rücken.
Der Hauptdarsteller Plácido Domingo gibt ein distanzierendes Interview, schließlich ist das Schwein gestrichen, die Aufführung insgesamt ein Erfolg, nur Buhrufe für den Regisseur gibts heftige.
Ein anderer Fall ist seine Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts "Idomeneo" an der Deutschen Oper Berlin im Jahr 2003: Die abgeschlagenen Köpfe von Poseidon, Christus und Buddha werden hingenommen. Dass Neuenfels auch ein abgeschlagenes Mohammed-Haupt zeigt, führt drei Jahre später zu einer Warnung des Landeskriminalamts. Die Deutsche Oper setzte die Produktion aus Angst vor islamistischen Anschlägen ab und erst wieder an, als den öffentlichen Protesten eine Entwarnung des LKA folgt.
Es bleibt bei Reibeflächen – zum Beispiel: Kann man Edward Albees surrealistischen Thriller "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" als Groteske inszenieren mit einer clownesk komischen Andrea Clausen als Honey, wie es Neuenfels am Burgtheater 1991 macht?
Lebenselixier Musiktheater
Und doch ist das Musiktheater Neuenfels Lebenselixier: Für Moritz Eggerts "Schnecke" schreibt er das Libretto und für die RuhrTriennale entwirft und inszeniert er die Klavier-Oper "Schumann, Schubert und der Schnee".
Legendär bleibt Neuenfels Bayreuther "Lohengrin" als Rattenmärchen mit Elsa als Schwanenkönigin: Der ironiegetränkte Erst-Jahres-Skandal entwickelt sich zum Publikumsliebling. Mozarts "Entführung aus dem Serail" an der Wiener Staatsoper, scharfsichtig und leicht zugleich inszeniert, ist sogar ein Erfolg vom ersten Moment an. Und dann versöhnt er auch das Salzburger Festspielpublikum mit einer Inszenierung von Peter Iljitsch Tschaikowskis "Pique Dame" als Studie eines krankhaften Spielers – obwohl er selbst, Neuenfels, eigener Aussage zufolge nur ein einziges Mal ein Kasino besucht und keinen Gefallen daran gefunden hat.
Hans Neuenfels war der frische Wind in den zunehmend lauen Brisen des sogenannten Regietheaters, weil er die Worte kannte und, bei Opern, auch die Musik. Er wird fehlen. Als Regisseur. Als Mensch.