Es ist eine Jubiläumstour, die Thomas Pigor und Benedikt Eichhorn gerade absolvieren. Mit ihrem neuen, zehnten Programm "Volumen X" treten die beiden deutschen Musikkabarettisten ab 24. Februar auch in Österreich auf, genauer gesagt im Posthof Linz, gefolgt von Kabarett Niedermair (25. Februar) und Stadtsaal (26. Februar) in Wien. Im Interview ziehen die beiden eine Bilanz über zehn Programme.

"Wiener Zeitung": Sind Chansons im 21. Jahrhundert nicht ein bisschen anachronistisch, aus der Zeit gefallen, unmodern?

Benedikt Eichhorn: Unmodern? Aber doch nicht unsere!

Thomas Pigor: Es kommt ein bisschen auf den Chanson-Begriff an. Wir definieren Chansons so, dass Text und Musik auf Augenhöhe miteinander korrespondieren. In der Popmusik oder der Oper steht eindeutig die Musik im Vordergrund, da versteht man den Text oft gar nicht. Auf der anderen Seite gibt es die Kabarettmusik, bei der der Text dominiert und von der Musik bedient werden muss. Wir haben eine stilistische Bandbreite, die über das hinausgeht, was man unter klassischem Chanson wie etwa bei Jacques Brel, Hildegard Knef oder Édith Piaf versteht, bei uns spielen auch Hip-Hop, Jazz oder Pop mit hinein.

Eichhorn: Wir machen ja satirisches Chanson. Wir sind auch musikalisch ganz woanders. Ich glaube, die Bandbreite macht den Spaß aus. Wir haben viele ostinate Formen, wo ein Bass die ganze Zeit durchläuft, über die Pigor rappt - das ist eine sehr aktuelle Form, die auch unsere jugendlichen Kinder hören. Das einen ganzen Abend lang durchzuziehen, würde nerven. Deswegen haben wir auch die Brel-Ballade, die Elvis-Imitation oder auch Nummern im Stil von Kurt Weill. Wenn Sie an unseren Song über Bert Brechts Erben denken: Da macht der Weill-Sound inhaltlich Sinn. Dann haben wir aber auch zum Beispiel volksmusikalische Anteile, denn der Pigor kommt ja aus dem nördlichen Teil Bayerns.

Pigor: Ich will jetzt aber nicht über Bayern reden, sondern nochmal über die Frage, inwieweit man sich verschiedener Stilistiken bedient. Wir richten uns natürlich danach, was für eine Musik der jeweilige Text verlangt. Und da greifen wir auch in die musikhistorische Kiste von aktuellen bis hin zu ganz alten Sachen. Dazu eine provozierende Frage: Was wäre denn die Musik von heute? Mein Eindruck ist, dass seit dreißig Jahren eigentlich alles irgendwie Retro ist. Die letzte genuine Stilrichtung in der Unterhaltungsmusik war für mich Techno und davor Hip-Hop und Reggae und Punk, das waren noch originäre Richtungen. Alles was danach kam, ist aus meiner Perspektive eigentlich nur eine Kombination von Vorhandenem oder eine soundtechnische Weiterentwicklung. Aber eine genuine Musikrichtung unserer Zeit kann ich nicht entdecken. Heute ist alles gleichzeitig präsent und alles mehr oder weniger Retro. Und wir im Kabarett greifen auch auf diesen Schatz zurück.

Ist also erst der Text da, und dann wird die passende Musik gesucht?

Eichhorn: Manchmal ist es auch so, dass eine Textzeile eine Musik triggert.

Pigor: Zum Beispiel beim Song "Rente gehen" war von Anfang an klar, in welche Richtung die Musik gehen muss, nämlich in Richtung Konstantin-Wecker-Parodie, die große Liedermacher-Ballade der Siebzigerjahre, und dann arbeitet man sich an diese Art von musikalischem Pathos heran.

Eichhorn: Anderes Beispiel: Im Song "Ich hasse Musical" führe ich aus, was ich am Musical alles blöd finde - mit den musikalischen Mitteln des Musicals.

Sind Ihre Texte alle grundsätzlich genuin oder schreiben Sie auch Bestehendes um?

Pigor: Es sind alles eigene Songs. Aber wir haben in jedem Programm ein Cover, meistens in einer anderen Sprache.

Eichhorn: In "Bitte mach nicht Schluss" hat Pigor sich mit den verschiedenen deutschen Übersetzungen des französischen Originals "Ne Me Quitte Pas" von Jacques Brel auseinandergesetzt und eine neue Version geschrieben, von der er behauptet, sie wäre näher am Original als die bisherigen Übersetzungen, und das diskutieren wir dann im Nachgang.

Die Rollen sind klar verteilt: Pigor (r.) singt, und Eichhorn muss begleiten. - © Thomas Nitz
Die Rollen sind klar verteilt: Pigor (r.) singt, und Eichhorn muss begleiten. - © Thomas Nitz

Pigor: "Ne Me Quitte Pas" ist eine sehr schillernde Ballade, die große Ballade des Verlassenwerdens, die auch gerne von Schauspielstudenten in ihren Castings gesungen wird. Es hat aber im Original noch einen anderen Aspekt: Derjenige, der verlassen wird, ist eigentlich ziemlich gestört, er ist ein Stalker. Im französischen Original gibt es Sätze wie: "Ich werde mich verstecken und dich beobachten, wie du tanzt und lachst." Dieser Aspekt wurde bisher in den deutschen und englischen Übersetzungen fast gänzlich weggelassen. Mich hat es lange schon gereizt, einmal die pathologische Seite des Chansons in einer neuen Übersetzung herauszuarbeiten.

In Ihren Programmen steckt also auch Musikwissenschaft drin. Haben Sie den Anspruch, dass das Publikum auch etwas davon mitnimmt, oder sind Sie schon zufrieden, wenn es sich einfach nur gut unterhalten fühlt?

Pigor: Das steht nicht im Vordergrund des Programms. Das Publikum wird nicht mit Musikwissenschaft überfordert, auf keinen Fall. Dass wir uns beim Erarbeiten oder in der Rückschau Gedanken darüber machen, wie wir uns stilistisch verorten, ist selbstverständlich. Aber das bringen wir nur selten auf die Bühne.

Eichhorn: Unser erster Job ist unterhalten, aber natürlich anregend, interessant unterhalten.

Pigor: Uns geht es zuallererst um Unterhaltung, aber auch darum ein paar Inhalte zu platzieren, und gelegentlich darum, zu irritieren. Es gibt einige Songs, da weiß ich: Die Hälfte des Publikums wird politisch nicht mit mir übereinstimmen. Oder wir haben in unseren aktuellen Programm Rhetorik als roten Faden: Wir stellen das Buch "Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren" des 2020 verstorbenen Philosophen Hubert Schleichert vor. Darin hat er die ganzen Argumentationsmuster aufgelistet, die es schon in der Antike oder im Mittelalter gab, und die man auch in den heutigen Talkshows wiederfindet. Und diese Argumente lassen wir in unsere Conférencen einfließen, zum Beispiel das Argumentum ad hominem: Das bedeutet, dass man nicht auf Sachargumente des Gegenübers eingeht, sondern versucht, es als Person zu diskreditieren; oder das Argumentum ad nauseam, dass man ständig dasselbe wiederholt, wie es Donald Trump mit der gestohlenen Wahl tut, und irgendwas bleibt dann hängen. Dieser Ausflug in die Argumentationstheorie wird von unserem Publikum, da er humoristisch angelegt ist, sehr geschätzt. Der Kabarettwissenschafter Reinhard Hippen hat den Begriff "Erkenntnisspaß" geprägt. Das ist die Zielvorgabe.

Weil Sie die Politik angesprochen haben: In Österreich sind ja das Kabarett und sein Publikum mehrheitlich links angesiedelt. Gibt es in Deutschland auch eine klare Schlagseite?

Eichhorn: Ich glaube, zum einen ist in Österreich zum Beispiel die Position der Kirche gegenüber sehr viel krasser als in Deutschland. Auch, weil Österreich teilweise noch religiöser, urkatholischer geprägt ist und es einen größeren Bedarf bei Kabarettisten gibt, sich an der Kirche abzuarbeiten. In Deutschland gibt es Kabarett aus allen Lagern, es ist nicht per se links oder progressiv. Es gibt auch Kabarettisten, die umstritten sind in der Art, wie sie sich über Islamismus, die Klimadebatte und so weiter äußern, und womöglich auch von anderen Kabarettisten Gegenwind bekommen. Das heißt, es gibt auch deutsche Kabarettisten, die von den konservativen Kräften sehr geschätzt werden.

Pigor: Die sind aber eigentlich die Minderheit.

Eichhorn: Am österreichischen Kabarett finde ich so faszinierend, dass es absolut mehrheitsfähig ist, die Wertschätzung dafür ist in Österreich enorm. Dass etwa ein Gunkl von der lokalen Sparkasse als kultureller Hauptact der Firmenfeier eingeladen wird, kann ich mir in Deutschland schlecht vorstellen. Es ist in einer breiten Mehrheit Teil des Unterhaltungsprogramms - obwohl es teilweise sehr krass ist.

Pigor: Ja, es gibt sehr viele schöne Extremisten in Österreich.

Sie meinen, es gibt hier mehr Kabarettbesucher als Nicht-FPÖ-Wähler?

Eichhorn: Ich weiß nicht, ob die FPÖ-Wähler nicht sogar auch ins Kabarett gehen, kann das sein?

Kann das auch daran liegen, dass in Deutschland die Konkurrenz durch die sogenannte Comedy viel größer ist? Gibt es da eine scharfe Abgrenzung?

Eichhorn: Es verschwimmt teilweise, aber es gibt auch die Abgrenzung. Unser Selbstverständnis ist, dass wir satirisches Chanson machen und damit im Genre Kabarett angesiedelt sind, und ich habe, wenn ich ehrlich bin, relativ wenige Berührungspunkte zur Comedy. Es gibt hin und wieder Veranstaltungen, zu denen wir eingeladen werden und dann feststellen: Oh, wir glauben, das Umfeld ist zu comedyhaft, da wollen wir gar nicht hin. Wir haben auch den einfachen Kalauer, und was wir machen, ist extrem lustig - für unser Publikum. Es gibt wahrscheinlich Leute, die mit unserem Humor gar nichts anfangen können. Umgekehrt sehe ich bestimmte Comedians, sitze in einem Umfeld, das lauthals lacht, und muss selbst überhaupt nicht lachen. De gustibus non est disputandum. Die einen mögen’s, die anderen eben nicht. Es gibt auch Künstler wie Dieter Nuhr, der die Unterscheidung zwischen Kabarett und Comedy für sich dezidiert ablehnt und sich in beiden Feldern zuhause fühlt. Es gibt aber auch Leute wie Frank Lüdecke, die dezidiert politisches Kabarett machen. Es gibt halt viele Welten in der Kultur.

"Volumen X" ist Ihr zehntes gemeinsames Programm. Ein Künstler entwickelt sich ja immer weiter, aber können Sie konkrete Veränderungen festmachen?