Kann ein böses System auch etwas Gutes vollbracht haben? Diese Frage will das Kunstwerk "Ode an die alten Täter" stellen, das Anne Fratzer (Sabine Haupt) präsentiert. Sie ist Vertreterin des Genres "Bad Painting", aber ihr neues Werk fällt nicht unter diesen Begriff. Das zeigt sich, wenn der blaue Plastikfransenvorhang (Bühne: Sigi Colpe) sich lüftet. Es ist nämlich nicht nur nicht gemalt, es ist gar nicht. Es besteht aus Nichts.

Halt Moment, denkt sich der geübte Theaterbesucher: Das kenn ich doch. Stimmt, mit demselben Ausgangskuriosum hebt Yasmina Rezas "Kunst" an. Dieses Stück heißt nun aber "Ode" und ist von Thomas Melle, am Samstag war die Premiere im Kasino am Schwarzenbergplatz. Auch hier geht es um die Rezeption von Kunst, Fratzer sieht sich und ihr Werk, das sie dem Regime des NS-Terrors gewidmet hat, weil es ihren Großvater ermordet hat, und wenn das nicht passiert wäre, hätte der saufendende Vergewaltiger ihre Großmutter und ihre Mutter getötet, mit Kritik von zwei Seiten konfrontiert.

Sabine Haupt als Künstlerin Anne Fratzer hinter dem Vorhang, der ihr Kunst-Nichts verhüllt.  
- © Karolina Miernik

Sabine Haupt als Künstlerin Anne Fratzer hinter dem Vorhang, der ihr Kunst-Nichts verhüllt. 

- © Karolina Miernik

Auf der einen Seite steht eine faschistoide "Wehr" - verkörpert von Katharina Pichler, die ihre Stimme auch durch andere Schauspieler "laufen" lässt, ganz populistische Indoktrination -, die verurteilt, dass der Steuerzahler unsichtbare Kunst fördert. Auf der anderen Seite steht die liberale Kollegenschaft, die die Freiheit der Kunst bei diesem Werk überbeansprucht sieht. Zumal sein ursprünglicher Titel gar "Ode an das KZ" gewesen sein soll - ein im Privaten getätigter "Scherz", wie Fratzer betont.

Keine Zuflucht

Doch das Private ist schon längst kein Zufluchtsort für Unsagbares mehr: ein Tribunal selbstgerechter Moralisten entscheidet, dass Fratzer, wie es so schön heißt, gecancelt wird. Ihren Rektorenposten ist sie los, obwohl sich ein wackerer Kollege mit einer Tirade gegen die Ignoranz der "facebook-gezüchteten Hofnarzissten" und "youtube-verblödeten Neoneunazis" für sie einsetzt. Dieser tragikomische Ausbruch von Artur Klemt - immer wieder unterbrochen von einem zufriedenen "Hassrede gemeldet"  der Angesprochenen (Caroline Baas, Tilman Tuppy) - könnte ein Höhepunkt sein, würde man ihn etwas besser verstehen.

Fratzer nimmt sich aus der Gleichung, Selbstmord offenbar, das Stück setzt zehn Jahre später wieder ein: Orlando (Markus Meyer) inszeniert ein Stück über die falsch verstandene "Ode". Es geht gleich weiter wie zuvor, jetzt nur in albern-grotesk und in Meyers Fall: völlig unbekleidet. Also bis auf Knieschützer. Man kennt die Debattengrundlagen zur Genüge aus den Feuilletons: Männer, die Frauen in Vergewaltigungsszenen inszenieren - geht nicht mehr. Nicht-migrantische Menschen, die migrantische Menschen darstellen - geht nicht mehr.

Unter den Teppich gekehrt

Orlando wird von seinen Kollegen auseinandergenommen, die "Wehr" kommt und stellt fest, dass sich die Kunst selbst abschafft. Am Ende tragen auch die Kollegen die lederne Kluft der "Wehr". Man ist sich halt - wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen - gar nicht so unähnlich im Ausschalten von Meinungsvielfalt. Zum Schluss wird die Kunst - Sabine Haupt kehrt zurück als "Präzisa" in blauer Plastik-Couture - unter einen riesigen Teppich, der einen Gemäldeschinken, bedeutungsschwanger eine Jagdszene - zeigt, gekehrt. 

Der ungarische Regisseur Andras Dömötör kennt repressive Haltung gegenüber Kunst aus seiner Heimat. Es gelingt ihm mit dieser Inszenierung nicht, den intellektuellen Diskurs mit Leben zu füllen. Im Gegenteil, die platte Gegenüberstellung verkopft hier zunehmend. Der weltgeschichtliche Moment tut der Inszenierung freilich auch keinen Gefallen. Wenn handfeste Raketen explodieren, kommt einem akademische Kontroverse, sei sie noch so gesellschaftlich brisant, seltsam unangebracht vor. Nun macht einen diese Kritik vielleicht gerade zu dem Spießbürger, der aufgerüttelt werden soll? Sei’s drum.