Wie lange dauert es gemeinhin, bis sich Theaterräume mit bestimmten Stimmungen füllen, Atmosphäre vom Bühnenpodium herab in den Zuschauerraum flutet? Ein einziger Augenblick kann da genügen. Siehe Peter Brooks legendäre "Sturm"-Inszenierung aus dem Jahr 1990, als der Schauspieler Sotigui Kouyaté, einen hölzernen Regenstab in Händen, besagten Sturm ankündigte und darauf ohne Tamtam gemeinsam mit multikulturellem Ensemble ein fantastisches Märchen erzählte: die Magie des Einfachen.
Ganz anders wird nun im Burgtheater an die Sache herangegangen. Das achtköpfige Ensemble, dazu ein Live-Musiker und die Bühnentechnik sind zu Beginn der Inszenierung eine gute Viertelstunde lang ausschließlich damit beschäftigt, eine Art melancholisches Mardi-Gras-Feeling zu etablieren. Die Musik setzt dabei auf vertraute Melodien - von "When the Saints Go Marching in" bis zu Rolling-Stones-Hits und Lou Reeds "Perfect Day".
Prächtiger Bilderreigen
In die weitläufige Bühne des Burgtheaters platziert Bühnenbildnerin Elín Hansdóttir raumhohe Klettergerüste; die Bühne dreht sich in einem fort um sich selbst. Die Schauspielerinnen und Schauspieler stecken in schneeweißen Fantasiekostümen, schlendern scheinbar sinn- und ziellos auf der Bühne auf und ab.
Gewiss, das ist alles nicht ohne Charme, leider aber ohne allzu viel Hintersinn. Was das seltsame Treiben in Thorleifur Örn Arnarssons "Sturm"-Inszenierung mit Shakespeares Stück zu tun haben könnte, erschließt sich bis zum Ende nicht. Überhaupt scheint der isländische Regisseur zumeist damit beschäftigt zu sein, die Bühnenmaschinerie in Gang zu halten - und darüber die Fragen nach Sinn und Bedeutung immer wieder aus den Augen zu verlieren. Die Bühnentechnik zeigt eindrucksvoll, was sie kann: An Theaternebel wird nicht gespart, die Stürme toben und krachen derart, dass es einen fast aus den Sesseln hebt; einmal regnet es in Strömen, später rascheln grüne Blätter vom Bühnenhimmel.
Arnarsson fügt eine Reihe prächtiger szenischer Bilder aneinander, zusammengehalten durch Musik. Das ist durchaus kurzweilig, macht aber noch keine geglückte "Sturm"-Inszenierung aus. "Der Sturm" gehört zu den meistgespielten Shakespeare-Dramen. Frage: Warum ist dieses vergleichsweise einspurige Stück, das romantische Motive mit Komödienelementen verbindet, bei Theatermachern wie Publikum so beliebt? Folgt man dem Shakespeare-Kenner Harold Bloom, ist "Der Sturm" eine "experimentelle Bühnenkomödie", deren nachhaltiger Erfolg in der offenen Struktur begründet sei, in ihrer bewussten Mehrdeutigkeit, die es dem jeweiligen Regieansatz überlasse, die bestehende Widersprüche zu schließen.
Arnarsson übersetzt die Offenheit des Stücks in szenische Tableaus, widersetzt sich aber jeglicher Deutung - was sich bei der Figurenführung als besonders problematisch erweist. Dreh- und Ankerpunkt jeder "Sturm"-Inszenierung ist das Duo Prospero und Caliban. Prospero, der vertriebene Fürst, der sich mit den Mitteln der Zauberei den Thron zurückholt, fungiert als Spielemacher. Maria Happel verkörpert Prospero - aus dem Geschlechtertausch wird leider kein allzu großer künstlerischer Mehrwert gezogen; als bewährte Bühnenkraft stellt Happel die Figur gewohnt routiniert und souverän dar, ihrer Interpretation mangelt es bedauerlicherweise aber am Geheimnisvollen. Prospero: farblos.
In der Rezeptionsgeschichte wurde der Halbmensch Caliban wiederum oft als Paraderolle gesehen. Obwohl Caliban im Stück kaum Text hat, wurde er als geknechtetes Fabelwesen, das gegen Prosperos Herrschaft aufbegehrt, zur heimlichen Hauptrolle. Erstaunlicherweise scheint Regisseur Arnarsson sich für das enigmatische Monster aber kaum zu interessieren. Florian Teichtmeister spielt die Figur mit angezogener Handbremse, sein Wollen und Treiben bleiben nebulös. Die Nebenhandlung als Farce, die Auftritte der Hofnarren Trinculo und Stephano, gehören zu den Höhepunkten jeder "Sturm"-Inszenierung. Auf Michael Maertens und Roland Koch ist zumindest Verlass: beste komödiantische Bravour-Nummern. Mavie Hörbiger ist ein gewitzter Luftgeist Ariel. Allein: Den zentralen Figuren fehlt die Deutlichkeit, dem Drama die Spannung, viele Szenen finden keinen Schwerpunkt. Nicht gerade swingender Shakespeare.