Es gibt Wien, und es gibt die Bundesländer - wobei die Frage ist, wer sich da eigentlich von wem abgrenzt. Dass die Wiener ein eigenes Völkchen sind - nicht genetisch, aber mental irgendwie schon -, nimmt Liedermacher und Kabarett-Urgestein Joesi Prokopetz als Basis für sein insgesamt 28. Programm, dessen Titel "Vienna waits for you" durchaus ironisch gelesen werden darf. Denn wenn ein Wiener sagt: "Na, auf di hab i grad no gwartet", dann ist vielleicht doch eher vom Gegenteil auszugehen. Apropos vielleicht, um noch eine Prokopetzsche Pointe wiederzugeben: Der Satz "Na der is vielleicht ein Oaschloch" ist natürlich auch eine klare Feststellung und keine Möglichkeitsform.
Ja, es ist derb, dieses 28. Kabarettprogramm, das Prokopetz, der am 13. März 1952 in Wien (wo sonst?) das Licht der Welt erblickt hat, nun sich und seinen Fans zum 70. Geburtstag schenkt. Aber es ist auch ehrlich und entlarvend - und boshaft. Denn Prokopetz tut das, was er seit jeher tut: Er beobachtet seine Mitmenschen, egal ob live von Angesicht zu Angesicht oder in Elizabeth T. Spiras TV-"Alltagsgeschichten", und seziert dabei verschiedene Typen, die er dann in seine Bühnenprogramme einbaut, die oft eher den Charakter von Lesungen haben. Kein Wunder, hat er doch auch schon mehrere Bücher geschrieben, deren Pointen er dann auch auf der Bühne wiedergegeben hat.
Das Wiener Lebensgefühl
Und diesmal sind es eben dezidiert die Wiener, deren (nicht unbedingt positivem) Lebensgefühl er auf den Grund gegangen ist. Dass da natürlich Klischees wie der Hang zum Morbiden ebenso wenig fehlen dürfen wie der berühmte Wiener Schmäh, überrascht nicht. Eher lässt seine Anmerkung aufhorchen, dass "jeder ein Wiener sein kann", selbst ein Finne - vorausgesetzt, er oder sie verfügt über die richtige Einstellung und das passende Alter. Letzteres ist insofern relevant, weil ab einem gewissen Zeitpunkt auch das Gendern nicht mehr notwendig sei, stellt Prokopetz fest, da würden auch Ehepaare äußerlich immer ähnlicher. Nun, da fragt man sich unweigerlich: Ist 70 jetzt schon das Alter, in dem diese Entwicklung beginnt?
Persönlich fragen traut man sich das Prokopetz aber nicht, denn er ist schließlich ein echter Wiener, und nach seinem zweistündigen Lehrabend weiß man, wie umgänglich der ist: gar nicht nämlich. Dafür ist er feig und konfliktscheu, auch wenn er sich über alles aufpudelt - aber eben nur im geschützten Rahmen. Und was für ein Miesling er auch sei, er selbst kann aber sicher nix dafür! Denn dieser suburban geprägte Edelproletarier, dem das "Goldene Wiener Herz" lediglich angedichtet wurde, weiß ganz genau, dass es immer an den anderen liegt. Deshalb wählt er auch tunlichst die Sozialdemokraten, damit die Roten an allem schuld sein können.
"Da Hofa" und das Taxi
Was, jetzt übertreibt er aber, der gute Herr Prokopetz? Tut gar den Wienern unrecht? Mag sein. Überspitzung und bissige Ironie waren und sind halt seit jeher die Stilmittel des seinerzeitigen Schulfreundes von Wolfgang Ambros, der diesem 1971 mit seinem Text für den späteren Hit "Da Hofa" die Karriereleiter zumindest stabilisiert hat. Und wenn man bedenkt, dass auch "Es lebe der Zentralfriedhof" von Prokopetz stammen, dann wirkt sein Ausflug ins Morbide schon wieder stringent.
Und bei aller Derbheit erweist sich Professor Prokopetz (den Titel hat er seit 2008) auch als ein Meister der feinen Sprache und der Wortspiele. Das war er schon in den 1970ern und 1980ern als Librettist des Alpendramas "Der Watzmann", als DÖF-Mitglied ("Taxi", "Codo", "Bitte sprechen Sie jetzt") und als Werbetexter. Und das ist er mit 70 Jahren immer noch bei seiner "Sit-down"-Premiere - "Es ist kein Stand-up", betont er, macht aber für jede verhungerte subtile Pointe eine Kniebeuge - im Wiener Orpheum, mit der er nun seinen Geburtstag gefeiert hat.
Freilich, es ist ein Humor, der nicht jedem liegt. Ein echter Wiener aber versteht ihn ganz genau, den Wiener Schmäh, des Joesi Prokopetz.