Zu Beginn wird gleich einmal ein Massengrab geschaufelt. Das passt, befindet man sich ja im "Reich des Todes": So heißt das Stück von Rainald Goetz, das am Samstag zur österreichischen Erstaufführung im Akademietheater kam. Eine Betrachtung der laut Goetz nach wie vor nicht absehbaren "gesellschaftlichen globalen Katastrophe", deren Auslöser die Anschläge des 11. September 2001 waren, soll es laut Programmheft sein. Gerade noch haben die Menschen auf der Bühne ein pulsierendes Unterwäscherave mit verbundenen Augen gefeiert, plötzlich fallen sie alle um und werden mit Erde zugeschaufelt. Gerade noch war alles hypnotisch heppipeppi in der Post-Kalten-Kriegs-Trance, aber zwei einstürzende Türme ändern alles. Die sind freilich nicht zu sehen im Bühnenbild von Regisseur Robert Borgmann. Es reicht, dass Martin Schwab von einem Tom erzählt, der aus dem Fenster des World Trade Centers schaut, am Morgen jenes sonnigen Herbsttages und ein Flugzeug auf sich zufliegen sieht.
Walzer ist nicht Walzer
So konkret und fassbar wird der Theaterabend nur selten wieder sein. Die handelnden Politiker heißen in diesem Stück nicht Bush und Co., sie sind groteske Pausbilder, denen Borgmann zur Sicherheit dann aber doch identifizierende Attribute beifügt: Cowboyhut für Präsident Marcel Heuperman zum Beispiel. Alle Männer (Mehmet Atesci, Marcel Heuperman, Felix Kammerer, Christoph Luser) tragen erstmal Frack und alle Frauen (Elisa Plüss, Safira Robens, Andrea Wenzl) weißes Debütantinnen-Ballkleid, so wabern sie nach den Anschlägen über die Bühne, wer sich fragt, warum, bekommt im Programmheft den Hinweis: Walzer ist nicht nur ein Tanz, sondern auch der Name des Gesellschaftstheoretikers Michael Walzer, einer der Intellektuellen, die George W. Bushs Kriegsantwort auf den 11. September öffentlich unterstützt haben.
Achse des Bösen
Es folgen Aneinanderreihungen von Episoden und Assoziationen, die zum einen den "gerechten Krieg" gegen die "Achse des Bösen" persiflieren, und zum anderen die Foltermethoden in Abu Ghraib thematisieren. Das eine fließt da aber ins andere, etwa wenn das Ensemble im Chor - eins der von Borgmann wiederholt genutzten Stilmittel - über "erlaubte Folter" rezitiert, allesamt recht plakativ mit Schirmkappen, die mit "Guilt" (Schuld) bestickt sind, angetan. Oder wenn es wie bei einem Leichenzug einen vermeintlich Toten auf der Bahre auf die Bühne rollt, in Ballettkompagnie-Fasson umtanzend, der Aufgebahrte freilich hält eine Rede über die "Bösen", die in jeder Ecke der Welt gejagt werden sollen. Währenddessen werden seine Beine und Arme blutrot einbalsamiert. Apropos rot: Einen Faden solcher Farbe sucht man in dieser Inszenierung vergeblich. Lieber gibt es zu Sirenenklang verfremdete "Life is life" und "We are the champions"-Medleys. Einen Stewardessen-Aufmarsch, der dem Präsidenten dosenweise Cola einflößt. Klischeehaft auf der Hand liegende Musikzitate von Bach, wenn sich Häftlinge von Gott verlassen fühlen. Wenn das wirre Treiben einmal kurz zur Ruhe kommt, kann es gute, wenn auch rätselhafte Bilder bewirken: etwa, wenn Mehmet Atesci Foltererfahrungen berichtet, verkleidet als Marilyn im weißen Latexkleid, die sich madonnenhaft in der schiefen roten Platte, die fast das einzige Bühnenbild ist, außer später einem Käfig mit Stacheldraht, spiegelt.
"Piff paff Unsinn", heißt es tatsächlich einmal. Und nicht erst, wenn "O du lieber Augustin" angestimmt wird, ist unklar, welchen Weg diese Inszenierung geht, außer den auf die Nerven der Zuschauer. Immer wieder senkt sich ein Vorhang, auf den der Plan eines KZs gedruckt ist. Die Fracks und Ballkleider werden bald zu braunen Hemden. Die in den Raum gestellte Gleichstellung des Menschheitsverbrechens des Holocaust und den Menschenrechtsverbrechen der USA in Guantanamo und Co., womöglich auch noch der Exekution an Diktatoren wie Ceaucescu und Hussein, ist eine Provokation, eine Anmaßung, die zu weit geht.
Überholte Geschichte
In den ersten Minuten fällt der Satz: "Jede Eskalation scheint möglich, sogar ein Atomkrieg." Kommt einem gerade wieder bekannt vor, diese Aussage. Doch mit der Bedrohlichkeit des Heute hat dieses "Reich des Todes" nichts zu tun. Das Stück, das eine Allgemeingültigkeit suggeriert, krankt daran, dass es diese nicht bieten kann, zumindest nicht in dieser Inszenierung. Dass sich (Kriegs-)Geschichte wiederholt, für diese Erkenntnis braucht man - leider - keine dreieinhalb Stunden Freies Diskursideen-Assoziieren.