Regietheater in der Oper bedeutet heute zumeist eines: Dem (meist viel gespielten) Werk eine neue, eine unverhoffte Dimension zu entlocken, eine bis dato nicht beachtete Facette herauszuschälen. Im Idealfall ist dazu die Geschichte der Oper schlüssig erzählt, es kommt zu einer spannenden Bereicherung. Im schlechtesten Fall verstellt die Regie-Idee die Sicht auf das Werk, wendet sich gar gegen dieses, oder versteigt sich in den lichten Höhen von Metaebenen.

Bei den diesjährigen Osterfestspielen in Salzburg erreicht diese Methode einen absoluten Höhepunkt. Das Regieteam Jossi Wieler, Anna Viebrock und Sergio Morabito hat Richard Wagners "Lohengrin" gleich komplett umgedreht, die Perspektive von Gut und Böse gewechselt. Eingeschliffene, gusseisern verfestigte Gewissheiten über das Stück aufbrechen, nennt es das Leading-Team.

Das Regie-Team Wieler/Viebrock/Morabito zeigt "Lohengrin" in Salzburg als Guru-Kult. - © Ruth Walz
Das Regie-Team Wieler/Viebrock/Morabito zeigt "Lohengrin" in Salzburg als Guru-Kult. - © Ruth Walz

Statt als mystisch strahlenden Gralsritter, der nicht nur die des Brudermordes angeklagte Elsa erlöst, zeigen sie Lohengrin als abgehalftertes Klischee eines Kreuzritters, der als namenloser Guru ein ganzes Volk in eine Art Massenhysterie versetzt. Ganz Brabant verfällt, geblendet von Lohengrin, einem religiösen Führerkult, die Frauen bemalen Fahnen mit umgestalteten Kreuzsymbolen und schwenken jubelnd Wimpel. Der König ist eine fremder Heerführer, der mit seinen Mannen Brabant überfällt, unterwirft und mobilisiert.

Ortrud und Telramund, Elsas und Lohengrins Gegenspieler um den Thron, zeigt die Regie als tapfere Partisanenkämpfer, die das Blendwerk des vermeintlichen Erlösers aufzudecken suchen. Sie sind die einzigen, die das faule Spiel durchschauen, sich gegen diese Herrschaft des Irrationalen auflehnen. Das moralische Recht dieser Produktion scheint auf ihrer Seite. Der vermeintliche Bruder-Mord Elsas wird zum Kriminalfall, sie selbst erfährt durch das Abziehen Lohengrins nicht den Tod, sondern Emanzipation. Endlich wird sie nicht mehr von einem Mann dominiert und hat im Finale symbolisch Hosen an.

Entzauberung an einem nebeligen Un-Ort

Angesiedelt ist die Handlung in einem vagen Gestern Anfang des 20. Jahrhunderts, die trostlose Bühne zeigt einen nebeligen Un-Ort, ein Hybrid aus Kanal-Schleuse, Industrie-Hafen und Hinterhof. All das bürstet das Werk nicht nur gegen jeden (romantischen) Strich, sondern entzaubert und verleugnet es, gibt seinen Helden der Lächerlichkeit preis und ist zudem ganz klar gegen die Musik inszeniert. Der Erkenntnisgewinn ist hingegen überschaubar. Das sah am Freitag auch das Premierenpublikum so, auf das Regieteam ging ein Buh-Hagel nieder.

Gefeierte wurde dagegen bereits vor dem ersten Ton Christian Thielemann, der das Festival nach knapp zehn Jahren als künstlerischer Leiter verlässt. Was die Salzburger vermissen werden, zeigte schon das Vorspiel, das Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden als von Morgentau benetztes Silbergeflecht in den Raum spann. Das von der Regie optisch verweigerte Heilsversprechen einer Liebe ohne Reue, es erstrahlte hier zumindest musikalisch in den hellsten Farben. Überhaupt ist Christian Thielemanns Wagner transparenter, ja transzendenter geworden.

Die Sänger trägt das nicht immer. Musikalisch ist diese Produktion insgesamt durchwachsen, den stimmlich charaktervollsten Beitrag leistet Martin Gantner als markant dramatischer Telramund, Elena Pankratova ist eine solide, aber wenig abgründige Ortrud, die statt auf Dunkelheit auf Schärfe setzt. Hans-Peter König ist ein sonorer, wenn auch müder Heinrich. Die Elsa von Jacquelyn Wagner ist lyrisch gedeckt, für das Große Festspielhaus verfügt ihr Sopran jedoch über zu wenig Strahl- und Tragkraft. Und Eric Cutler als Lohengrin verfügt zwar über Stimme und Glanz für die Titelpartie, er bleibt in der Stimmführung jedoch hölzern.

Einfach abhaken lässt sich die Geschichte dieses "Lohengrin" mit dem Ende dieser Osterfestspiele jedoch nicht. Als Koproduktion mit der Wiener Staatsoper hat sie noch eine Reise vor sich - vielleicht auch noch eine Weiterentwicklung.