Hinter einem schillernden Glitzervorhang taucht ein Rollator auf, einige Glitzerfäden verheddern sich noch in der Gehhilfe, schon schlurft die Schauspielerin Barbara Petritsch auf die Bühne des Akademietheaters. Dekadenz trifft in der Ausstattung von Nina Wetzel auf die Mühen des Alters.

Petritsch platzt effektvoll in Johannes Zirners Monolog und wird seinen Redeschwall von jetzt an nach Lust und Laune mit bissigen Kommentaren befeuern. Behutsam entfaltet die Inszenierung von Itay Tiran die belastete Mutter-Sohn-Beziehung, rasch finden die Protagonisten in dem Zwei-Personen-Stück zu einem Grundton, der gekonnt zwischen Zynismus und Zartheit changiert und sie werden diesen Sound in den kommenden 100 Minuten kaum mehr variieren.

Dunkle Ecken

Am Spielplan steht die Dramatisierung von Christian Krachts "Eurotrash". In dem 2021 erschienenen Roman rückt der 55-jährige Autor, ähnlich wie im berühmten Debüt "Faserland" aus 1995, seine Biografie ins Zentrum.

Vordergründig ereignet sich in "Eurotrash" denkbar wenig - ein Sohn besucht seine 80-jährige alkohol- und tablettensüchtige Mutter in Zürich, die beiden verbringen 48 Stunden miteinander, in denen sie mit einem Taxi durch die Schweiz fahren und Orte aufsuchen, die für die Familie Bedeutung haben, vor allem aber unterhalten sie sich miteinander.

In den Gesprächen und Gedanken des Ich-Erzählers vermag der Text seine Sogkraft zu entfalten. In dem pointenreichen Schlagabtausch werden Fantasiereisen nach Afrika unternommen, aber auch die dunklen Ecken der Familiengeschichte ausgeleuchtet - der Aufstieg des kleinbürgerlichen Vaters, die NS-Vergangenheit des Großvaters, die Sucht der Mutter, die Unfähigkeit der Familie, mit dem Missbrauch umzugehen, den der Sohn als 11-Jähriger erdulden musste. Eine effektvoll arrangierte autofiktionale Selbstbespiegelung, die stilsicher zwischen Ernsthaftigkeit und Überzeichnung, Realität und Fiktion pendelt.

Der Roman ist gleichsam ein Konversationsstück, das zwei Paraderollen aufbietet. Es ist also nachvollziehbar, dass "Eurotrash" bereits mehrmals auf die Bühne gehievt wurde. Die Uraufführung gestaltete Jan Bosse in der Berliner Schaubühne mit Joachim Meyerhoff und Angela Winkler, die beiden Theaterhochleistungskräfte haben sich die Vorlage in Form einer grandiosen Katastrophenkomik angeeignet.

In Wien geht man die Sache eher wie mit angezogener Handbremse an: Johannes Zirner, am Burgtheater sonst eher mit Nebenrollen bedacht, erhält hier die Gelegenheit, sein Können unter Beweis zu stellen. Innerhalb des eng gesteckten inszenatorischen Rahmens verkörpert er auf überaus sympathische Weise den dandyhaft-verzweifelten Ich-Erzähler namens Christian.

Barbara Petritsch rückt indes von der einmal gefunden Darstellungsform für die durchgedrehte Alte während der gesamten Spieldauer kaum mehr ab. Was wohl Burg-Doyenne Elisabeth Orth aus der Rolle herausgeschält hätte?

Dennoch ist das ganze Unternehmen nicht ohne Charme und Witz: Wie Petritsch und Zirner sich auf dem lindgrünen Rondell-Sofa, das einzige Möbelstück auf der Bühne, nach allen Regeln der Kunst in die Haare kriegen, das hat schon was. Auch wie Zirner im Lauf der Aufführung zunehmend behände die Stomabeutel für den künstlichen Darmausgang seiner Mutter wechselt, ist nicht ohne Tragikomik.

Dennoch lotet der Text nicht ganz das Potenzial des Textes aus. Regisseur Itay Tiran beschreibt im Programmheft treffend die Mutterfigur als "Denkmal für die europäische Geschichte, eine Symbolfigur für das wunderbare alte Europa". Auf der Bühne des Akademietheaters merkt man von dieser Deutung bedauerlicherweise kaum etwas. Der im Buch unerbittlich geführte Erinnerungskampf zweier Generationen um Europas Antlitz und Andenken gerät in der Wiener Inszenierung etwas zu versöhnlich.