Bei Gayle Tufts (61) ist der Titel Programm: "Wieder da!" Und wieder da fühlt sich die in den USA geborene Entertainerin, die seit 40 Jahren in Deutschland auftritt, inzwischen in Berlin lebt und auch deutsche Staatsbürgerin ist, nach zwei Jahren Corona-Pause. Gemeinsam mit dem Pianisten Marian Lux, einem preisgekrönten Film- und Fernsehkomponisten, tritt sie am 2. Juni im Wiener Stadtsaal auf. Im Interview spricht sie über Corona, den deutschen Einbürgerungstest, Denglisch, den Machtwechsel im Weißen Haus und die Sehnsucht nach "Mutti Merkel".
"Wiener Zeitung": Gibt es bei Ihnen schon ein "Vor Corona" und ein "Nach Corona"?
Gayle Tufts: Unbedingt. Wir würden ja alle gerne wieder zurück zur gewohnten Normalität gehen. Aber es gibt da kein Zurück! Wir haben alle das Gefühl, dass wir zehn Jahre älter geworden sind. Aber Spielen hilft, so wie Sport hilft. Und Kultur hilft.
Was darf man sich von Ihrem Programm erwarten? Welche Themen treiben eine 61-jährige Deutschamerikanerin im Jahr 2022 um?
All diese Dinge. Es ist eine Art Comeback-Gefühl. Das passt auch zum Programmtitel "Wieder da!". Bloß, als ich mir den damals ausgedacht habe, da hätte ich mir nicht vorstellen können, dass womöglich ein Atomkrieg drohen könnte. Auf der anderen Seite versuche ich wie immer, meinen Optimismus nicht zu verlieren. Es ist eine Balance: Wir dürfen lachen, aber auch ein paar Tränen fließen lassen, dazu ein paar große Balladen. Es sollen auch zwei Stunden sein, in denen man ein bisschen Energie tanken und das Schlimme da draußen ausblenden kann. Ich will dieses Gefühl weitergeben, dass wir nicht alleine sind mit unseren Zweifeln, unserer Ratlosigkeit. Das Programm ist nach dem ersten Lockdown entstanden, aber die Welt dreht sich weiter, und ich schreibe es bei jeder Probe um. Da gab es den Wechsel von dem orangen Monster zu Joe Biden, und ich bin Deutsche geworden.
Wie schwierig war es, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen?
Naja, es ist eine lange Reihe von Formularen, aber nach 27 Jahren in Berlin war ich Papierkram gewohnt. Man muss auch in einem Test mit 33 Fragen mindestens 17 richtig beantworten.
Und wie viele hatten Sie richtig?
Alle. Aber mein Mann ist Bremer, der hat den Test auch gemacht - und er muss auswandern (lacht). Ich bin übrigens in der Pandemie zum ersten Mal so richtig deutsch geworden: Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben richtig Angst gehabt, diese Existenzängste, die wir im Englischen "German Angst" nennen. Ich habe mich mit Worten wie Berufsunfähigkeitszusatzversicherung oder Steuervorauszahlungsänderungsmöglichkeiten beschäftigen müssen. Da ist man plötzlich mit neuen Realitäten konfrontiert. Und ich habe Quereinsteigerangebote bekommen - dabei bin ich mittlerweile 61 Jahre alt!
Trauern Sie eigentlich Kanzlerin Angela Merkel nach?
Die ganze Welt trauert ihr nach! Sie hat Russisch gesprochen - wo ist sie?! Kann sie nicht Sondervermittlerin werden? Ich fühle mich gerade wie in einem Blockbuster von Roland Emmerich, "The Day After Tomorrow" oder "Independence Day", und ich warte darauf, dass uns "Mutti Merkel" rettet - oder zumindest Morgan Freeman. Die Amerikaner lieben sie sowieso, die hätten sie am liebsten als Präsidentin. Dann würde sie als Erstes im Weißen Haus stoßlüften - das ist übrigens auch so etwas typisch Deutsches, was die Amerikaner erst in der Pandemie gelernt haben. Die "New York Times" hatte sogar eine Schlagzeile: "Outdoor Air is Good." Und der Untertitel dazu lautete: "The best way to get outdoor air into a room ist to open a window." Das ist wirklich wahr! In vielen US-Hotels kann man übrigens die Fenster nicht öffnen. Ja, die Amerikaner können noch viel von den Deutschen lernen.
Im Weißen Haus hat zumindest Joe Biden Donald Trump abgelöst.
Ja, Opa ist da. Und er ist seit dem Amtsantritt noch mehr gealtert. Aber die Leute, die ich kenne, sind heilfroh über ihn. Allerdings komme ich aus Boston und war lange in New York, meine Freunde leben in Kalifornien, Chicago, Minneapolis. Aber im Mittleren Westen und auch an Orten, wo man es nicht erwarten würde, gibt es Leute, die immer noch nicht glauben, dass Biden wirklich Präsident ist. Das liegt auch an der Propagandamaschine Fox News, deren Nachrichten mindestens ein Drittel der Amerikaner konsumieren. Das ist wie eine parallele Realität. Und Trump ist längst nicht fertig. Es ist ein bisschen wie mit den Kakerlaken in meiner Wohnung in New York damals: Wenn man abends heimkommt und das Licht einschaltet, verstecken sie sich - aber sie sind immer noch da.
Biden muss sich also in zwei Jahren warm anziehen?
Schon jetzt. Heuer sind ja wieder Kongresswahlen. Das Grundproblem, das die USA haben, ist dieses Zwei-Parteien-System. Das funktioniert einfach nicht mehr. Es bräuchte zumindest eine grüne Partei und eine Wirtschaftspartei wie die FDP. Oder wir lassen Elon Musk ran, der kann alles (lacht).
War Trump wirklich so schlimm?
Er hat die bereits bestehenden großen Probleme noch weiter verstärkt und das Land noch mehr gespalten, als es schon war. Es ist jetzt Reich/Arm - eine Mittelschicht gibt es de facto kaum noch -, Stadt/Land, Weiße/People of Colour. Trump hat den Eindruck vermittelt, es wäre okay, ein Rassist zu sein. Es wird gerade debattiert, ob man in der Schule lernen soll, dass es Sklaverei gab und dass die schlimm war. Und dass wir dieses Land von den Native Americans gestohlen haben. Da gibt es wirklich Leute, die das ihren Kindern nicht zumuten wollen. Das ist so lächerlich! Aber das ist auch so ein altes Problem: die fehlende Aufarbeitung der Vergangenheit in den USA.
Die Rolle der USA als Weltpolizist hat Trump dafür zurückgefahren.
Da ist eine wahnsinnige Müdigkeit in der Bevölkerung zu spüren, eigentlich schon seit dem Vietnam-Krieg. Es gab den glorreichen Zweiten Weltkrieg, danach das Wirtschaftswunder und die Babyboomer, aber seit Vietnam haben wir immer nur verloren, verloren, verloren. Iran, Irak, Afghanistan - lauter tote Amerikaner. Das ist jetzt auch bei der Ukraine ein Thema, wie weit man sich einmischen soll. In Wahrheit beschäftigen viele Amerikaner dieselben Fragen wie uns hier: nämlich, ob sie genug Geld zum Saufen, Tanken, Urlauben und Shoppen haben. Dabei kommt gerade jetzt alles zusammen wie bei einer Art politischem Burito: ein bisschen Klimawandel, ein bisschen Corona, ein bisschen Weltkrieg und als Topping toxische Männlichkeit. Ich glaube, dass gerade jetzt ein bisschen Unterhaltung umso wichtiger ist, ein bisschen Lebensfreude.
Sie sind Jahrgang 1960 . . .
. . . ein guter Jahrgang: Tilda Swinton, Julianne Moor, Hugh Grant, Antonio Banderas, Bono, RuPaul. Wir sind alle 61. Ich fühle mich viel jünger, auch wenn meine Knie etwas anderes sagen.
Aus Hollywood hört man oft, dass Frauen mit zunehmendem Alter immer weniger gute Rollen bekommen. Wie ist das in Deutschland?
Das ist weltweit so, wenn die "Fuckability" abnimmt. Ich glaube aber, das ändert sich jetzt. Weil sich meine Generation dagegen wehrt. Ich mache ja auch weiter. Da hat sich auch viel verändert. Meine Mutter war 57 Jahre alt, als mein Vater starb, und ich habe damals als Teenager gedacht, jetzt ist ihr Leben vorbei. Aber heute ist 60 das neue 40. Ich bin noch nicht bereit für den Treppenlift.
Sie haben das Denglisch einst zur Kunstform erhoben. Mittlerweile ist es in unseren Alltag eingeflossen. Verstehen Sie die Leute, die den Niedergang der Sprache fürchten?
Ich glaube, wir sind jetzt sogar einen Schritt weiter. Wenn ich zu einem Poetry-Slam gehe, dann mixen die dort alles. Ich finde das toll. Ich kann die Sorge aber verstehen, in Frankreich haben sie ja sogar Quoten für Anglizismen eingeführt. Ich benutze das Denglisch als eine Art Malerei. Am Anfang war es eine Notlösung bei mir, aus Mangel an Deutschkenntnissen. Heute sehe ich die beiden Sprachen als zwei Farben, die ich benutzen kann, gemeinsam mit Musikalität und Humor, um etwas Neues zu kreieren. Meine Absicht war nie, die Sprache kaputt zu machen. Ich möchte mehr Kommunikation, mehr Möglichkeiten, mehr Worte. Für mich ist es in Österreich immer sehr abenteuerlich, wenn ich wieder einmal so gar nichts verstehe. Aber das kann auch wohltuend sein.