Der Theatermacher Martin Kuej legt mit dem Buch "Hinter mir weiß" einen kurzweiligen Werkstattbericht vor. Auf 192 Seiten beschreibt der Regisseur und Burgtheater-Direktor anhand ausgewählter Inszenierungen seinen Zugang zum Theater - angefangen von den performativen Anfängen in Kärnten und jenem "Don Giovanni", der Anna Netrebko bei den Salzburger Festspielen 2002 zum internationalen Durchbruch verhalf, bis zu Kleists "Hermannsschlacht", mit der Kuej 2019 seine Amtszeit am Wiener Burgtheater eröffnete. Mit der "Wiener Zeitung" sprach der 60-Jährige über sein Metier.
"Wiener Zeitung": Sie beschreiben Ihre "Don Giovanni"-Inszenierung als "Sternstunde", als "außergewöhnliche Begegnung". Wie bemerkt man im Probenprozess, dass etwas Besonderes gelingt - oder eben misslingt?
Martin Kuej:Beides spürt man sehr deutlich! Bis zur Premiere besteht aber immer noch die Möglichkeit, dass sich das Blatt wendet. Bei jeder Inszenierung bin ich komplett darauf fokussiert, das beste mögliche Resultat zu erreichen - das heißt aber noch lange nicht, dass es auch beim Publikum oder der Kritik so ankommt. Es geht da immer um ein sehr subjektives Empfinden, von dem ich aber mittlerweile weiß, das es viele Menschen genau so erreicht. Wenn aber solch eine besondere Erfahrung glückt - manchmal auch nur in einer einzelnen Probe -, ist das ein unbezahlbares Vergnügen, geradezu ein Wunder. Genau für diese kostbaren Momente mache ich Theater: Tag für Tag, seit bald 40 Jahren.
Und wenns einmal danebengeht?
Dafür gibt es kein Rezept, aber es hilft, wenn ich alles umwerfe, mich auf unsicheres Terrain begebe und etwas völlig Neues, Unberechenbares versuche.
Wie kommt es, dass Sie sich noch Jahrzehnte später so genau an diese Aufführungen erinnern?
Für fast jede meiner Inszenierungen verfasse ich ein schriftliches Konzept, das mir während der Probenarbeit als eine Art Leitfaden dient. Auf diese Aufzeichnungen konnte ich für "Hinter mir weiß" zurückgreifen. Was darin zu lesen ist, war ein Kompass für meine Inszenierungen.
In "Hinter mir weiß" ist einiges über Ihre Arbeit zu erfahren. Persönlich werden Sie darin kaum je.
Das finde ich nicht und habe schon den Eindruck, viel von mir preiszugeben. Wenn es aber zu sentimental oder privat wurde, hat meine Lektorin zurecht eingegriffen. Manche Sachen haben in Büchern, die ja ewig halten, dann doch nichts verloren.
Welche zum Beispiel?
Die Pandemie hat mir zugesetzt und mich sehr gefordert in meinem Job. Dazu kamen herausfordernde Krisen, über die zu schreiben zwar aus selbsttherapeutischer Sicht ganz hilfreich war, die entsprechenden Teile kommen im Buch aber kaum mehr vor.
Dafür setzen Sie sich ausführlich mit dem Burgtheater auseinander. An einer Stelle schreiben Sie, als Burgtheater-Direktor solle man Theater machen - und keine Politik. Lässt sich das so klar trennen?
Das ist nicht mein Job! Ich verstehe mich als Künstler, bin weder Politiker, Arzt oder Priester. Natürlich ist man als Leiter einer so großen Institution eine öffentliche Figur, befindet sich in einem politischen Geflecht. Ich bin darauf bedacht, mich weder ideologisch noch parteipolitisch vereinnahmen zu lassen. Aber klar, ich habe eine Haltung und äußere mich zu gesellschaftlich relevanten Themen. Das wird von mir erwartet und das will ich auch machen.
Den letzten großen Theaterskandal am Burgtheater zettelte Claus Peymann 1988 mit der Uraufführung von "Heldenplatz" an. Vermag das Theater inzwischen keine Themen mehr aufzuwerfen, welche die Gesellschaft im Innersten treffen?
Wir leben in einer Gesellschaft, die viel Ungerechtigkeit und Unfreiheit überwunden hat. Themen, die noch vor 20, 30 Jahren für Empörung sorgten, haben an Relevanz verloren. Das heißt aber nicht, dass sie völlig verschwunden sind. Sie schlummern nur unter einer dünnen Decke von Demokratie oder Zivilisation. Als wir im Burgtheater die Chatprotokolle der "Causa Kurz" gelesen haben, erzielte die Videodokumentation hunderttausende Klicks, aber auch Empörung. Mit einer sehr einfachen Aktion lösten wir einen unglaublichen Wirbel aus, weil plötzlich das Thema Korruption, Verrat, Lüge usw. an die Oberfläche unserer Politik gespült wurde. Die Realität holt das Theater manchmal ein. Als wir die "Troerinnen" planten, konnte niemand ahnen, dass bei Probenbeginn ein Krieg in Europa ausbrechen würde, in dem Frauen zu Opfern von Kriegsgräueln werden - wie vor tausenden Jahren in Euripides Drama. Das Theater erzählt immer von dem, was uns Menschen bewegt oder droht. Es ist seit jeher eine Art Frühwarnsystem.
Liegt die Zukunft von Theaterensembles in der Diversität und Interkulturalität, wie Sie in "Hinter mir weiß" schreiben? Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Es ist mir wichtig, dass sich die Diversität und Internationalität unserer gegenwärtigen Gesellschaft auch in unserem Ensemble und unserem Programm widerspiegelt. Das ist jedoch ein langwieriger Prozess, an dem wir arbeiten und der durch die pandemisch bedingten Reise-Restriktionen zusätzlich eingeschränkt wurde.