Die Waldgeister und Nymphen feiern ein fröhliches Hochzeitsfest. Die Gewänder sind bunt, blumig und berauschend naturnah. Üppige Federn, wippende Blüten, feingliedrige Korallenkronen und glänzende Hörner zieren die Köpfe der Feiernden. Märchenhafte Fabelwesen tanzen in schillernder Pracht, die junge Braut strahlt. Nur der Bräutigam Orfeo kann eine gewisse Melancholie nicht ablegen. Zu groß war sein Kummer vor der glücklichen Verbindung. Und dieser soll sich zum veritablen Schmerz auswachsen: Seine Euridice wird von einer Schlange gebissen und stirbt.

Nur ein kurzes Liebes-Idyll erlebt Georg Nigl als Orfeo mit Slávka Zámečníková als Euridice. 
- © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Nur ein kurzes Liebes-Idyll erlebt Georg Nigl als Orfeo mit Slávka Zámečníková als Euridice.

- © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Es ist der eindrucksvollste Momente dieses Samstagabends in der Staatsoper, wenn sich daraufhin der Bühnenboden knarzend hebt, zur Decke schwebt und den Blick in eine modrige Unterwelt freigibt - in düsteren Farben und mit erdigen Wurzeln, die von der Decke hängen. Eine bis ins Detail überzeugende Lösung. Wenn Orfeo hier dann die Unterwelt zu berücken versteht mit seinen intensiven Wehklagen und herben Koloraturen, die das Stocken des Herzens hörbar machen, findet dieser Monteverdi-Abend zu einem intimen Höhepunkt.

Kate Lindsey überzeugt einmal mehr als Monteverdi-Expertin als Musik, Hoffnung und Echo. - © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Kate Lindsey überzeugt einmal mehr als Monteverdi-Expertin als Musik, Hoffnung und Echo. - © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Es ist das erste Mal, dass Claudio Monteverdis Oper "L’Orfeo" überhaupt an der Staatsoper aufgeführt wird - eine Premiere, die durchaus als geglückt bezeichnet werden kann, jedoch auch daran gemahnt, warum das Werk hier bisher nicht zu hören war.

Dem deutlich aufgestockten (und frenetisch bejubelten) Concentus Musicus unter der Leitung von Pablo Heras-Casado gelingt es nicht durchgehend, den großen Klangraum mit musikalischer Intensität zu füllen. Gerade die musikalisch feingestrickten Momente verhallen. Trotz der Spielfreude des Ensembles und des Farbenreichtums seines Klanges dringt dieser "Orfeo" nicht in die entrückenden Tiefenschichten und schmerzvollen Reibflächen Monteverdis Musik vor.

Die Faune und Nymphen feiern ein ausgelassenes Hochzeitsfest im Wald. - © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Die Faune und Nymphen feiern ein ausgelassenes Hochzeitsfest im Wald. - © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Der große Bogen stimmt

An den Sänger liegt das nicht: Kate Lindsey glänzt einmal mehr als Monteverdi-Expertin und verleiht Musik, Hoffnung und Echo ihre markante wie differenzierte Stimme, Slávka Zámečníková ist eine glasklare Euridice und Georg Nigl ein (leider nur stimmlich) expressiver Orfeo. Dass seine Charakterstimme bei seinem Staatsoperndebüt den sonstigen lyrischen Stimmrahmen sprengt, lässt das Werk durchaus zu. Auch der kernige Plutone von Andrea Mastroni, die präsente Christina Bock (Botin, Proserpina) und Wolfgang Bankl (Caronte) passen ins klangliche Bild. Schwach sind dagegen die vielen kleineren Partien besetzt, auch die Chorakademie der Staatsoper bleibt trotz der bunten Kostüme allzu blass.

Der große Bogen dieser Produktion stimmt, von Bühnenbild und Kostümen (beides: Anna Fleischle) über die Einbindung des Zuschauerraumes ins Spiel und die lebendigen Choreografie des Chores bis zur finalen Erlösung der Liebenden durch ihre Himmelfahrt. Doch die feinen Rädchen der Personenführung von Regisseur Tom Morris wollen nicht greifen an diesem Abend, der Zauber dieser den Tod mehrfach überwindenden Liebe wird nicht greifbar - letztlich weder musikalisch noch szenisch. Es bleibt bei der bunten Oberfläche.

Dieser "Orfeo" ist einer jener Abende, an denen niemand etwas falsch gemacht hat. Und an dem trotzdem das Ganze nie mehr ergibt als die bloße Summe der Einzelteile.