Als Edmund Sackbauer schrieb Karl Merkatz Fernsehgeschichte: In der Serie "Ein echter Wiener geht nicht unter" schimpfte "Mundl" 24 Folgen lang, dass Rohrspatzen bei ihm in die Lehre gehen konnten. Eltern achteten entweder darauf, dass die Kinder nichts mitbekamen, oder fürchteten in vorauseilender Errötung, dass sie fragen könnten: "Du, was ist das: ein Nudelaug'?" Der Wiener Dialekt feierte fröhlichen Tiefststand, wenn dieser Mundl loslegte, über den man sich wundern, nicht aber ärgern mochte. Nur: Als Nachbarn hätte diese Figur aus dem Panoptikum Ernst Hinterbergers niemand gerne gehabt. Es wäre schlicht zu laut gewesen im Gemeindebau. Doch Wien hatte eine neue Type. Gewiss gutmütiger war dieser Mundl als der "Herr Karl", aber ebenfalls umstritten: Das soll der Prototyp des Wieners sein? So etwas im Fernsehen, das doch, bitteschön, erbauen möge?
Karl Merkatz war abgestempelt: Für die meisten blieb er für immer der Mundl, obwohl er in Film und Fernsehen dann vier Mal der "Bockerer" war - auch er freilich eine querständige Wiener Type mit aufbrausendem Temperament. So besetzte man Karl Merkatz gerne - das war das Bild, das sich das Publikum gemacht hatte. Umdenken fällt eben schwer.

Am Set zu den "Bockerer II"-Dreharbeiten 1996: Franz Antel, Reinhard Reiner und Karl Merkatz.
- © APA/HERBERT PFARRHOFERDer Hochdeutsch-Schauspieler
Und doch wäre es gerade im Fall von Karl Merkatz angebracht gewesen. H. C. Artmann war es, der Autor der Dialektgedichte "med ana schwoazzn dintn" und mit einem außerordentlich feinen Ohr für dialektale Färbungen begabt, der einmal feststellte, dass Merkatz' Wiener Dialekt glänzend erlernt sei, Merkatz nun aber einmal ein Hochdeutsch-Schauspieler sei, dem Dialekt entwachsen.
Daran änderte auch die Tatsache wenig, dass Merkatz tatsächlich den viel genannten "kleineren Verhältnissen" entstammte: Am 17. November 1930 wurde er in Wiener Neustadt als Sohn eines Werkzeugmachers und einer Weberin geboren. Als junger Mann absolvierte er eine Tischlerlehre. Erst Jahre später nahm er in Salzburg, Wien und Zürich Schauspielunterricht. 1955 bestand er am Mozarteum seine Abschlussprüfung mit Auszeichnung. Darauf folgten Engagements in Heilbronn, Nürnberg, Salzburg und Köln. In Heilbronn lernte er auch seine spätere Ehefrau Martha Metz kennen. Die beiden heirateten 1956. Der Ehe entstammen zwei Töchter.
In Hamburg spielte Merkatz dann am Deutschen Schauspielhaus und am Thalia Theater, in Wien am Theater in der Josefstadt und am Burgtheater. 150 Bühnenrollen übernahm er in seinem Schauspielerleben. Dazu kamen die Filme für Kino und Fernsehen: "Der lebende Leichnam" nach Lew Tolstoi (Regie von Otto Schenk), "Lenz oder die Freiheit" (Regie von Dieter Berner), "Der Joker" (Regie von Peter Patzak), "Der Unfisch" (Regie von Robert Dornhelm) - um nur ein paar der mehr als vierzig zu nennen.
Volkstheater, Salzburg, Burgtheater
Vielgestaltig war dieser Karl Merkatz wie nur ganz wenige Schauspieler. Wem sonst als ihm würde man zutrauen, einen Wiener Radikalproleten ebenso zu spielen wie einen altenglischen Magier? Und doch schrieb er sich gerade als solcher unauslöschlich ins Gedächtnis ein: 1984 zeigte das Wiener Volkstheater Tankred Dorsts seltsames Drama "Merlin oder das wüste Land" in der Regie von Jaroslav Chundela. Das grandiose poetische Bühnenmonstrum, das ungekürzt rund 15 Stunden dauern würde, war auf zwei zweistündige Blöcke Blöcke verteilt. Merkatz stand als Verkörperung der Titelfigur im Zentrum dieser Spielfassung und überzeugte als weiser, weit in die Zukunft blickender Magier: Frei war er von Mittelalterpathos, intensiv und charismatisch. Er spielte die Größe nicht, er war groß.
2005 holten ihn die Salzburger Festspiele für den Benesch von Diedicz in Franz Grillparzers "König Ottokars Glück und Ende", die Inszenierung Martin Kusejs wurde anschließend mit Karl Merkatz in seiner Rolle an das Wiener Burgtheater übernommen. Im gleichen Jahr verlieh Merkatz bei den Salzburger Festspielen im "Jedermann" dem "armen Nachbarn" kraft seiner Persönlichkeit ein über den Text hinausreichendes Profil.
Nachhaltig im Gedächtnis bleibt Merkatz auch mit seinem Franz-Kafka-Monolog "Ein Bericht für eine Akademie": eine Achterbahn an Nuancierungen der Sprache, des Tonfalls und der Artikulation, wie man sie nur bei den großen Schauspielern erlebt.
Dass sich Merkatz für Obdachlose ebenso engagierte wie für die Menschenrechtsplattform SOS Mitmensch, deren Vorsitzender von 1999 bis 2001 war, hatte nichts mit Prominenten-Charity zu tun. Es entsprang einer tiefen humanistischen Überzeugung. Ihr ist auch einer der unvergesslichen Karl-Merkatz-Soloabende zu verdanken: Rund 40 Jahre mag es her sein, da bestritt Merkatz in der Remise ein Programm mit Arbeiterdichtung und Arbeiterliedern. Am Ende erhob sich das Publikum - nicht, um stehend zu applaudieren, sondern um spontan die "Internationale" zu singen. Karl Merkatz stimmte mit ein.
Das Lieblingsstück des so wandlungsfähigen Schauspielers aber war Samuel Becketts "Warten auf Godot": Clownerie und Tiefsinn, Nonsens und Poesie - das war es, was die Darstellungskunst von Karl Merkatz prägte, der weit mehr war als der "Mundl".
Am 4. Dezember ist Karl Merkatz knapp nach seinem 92. Geburtstag in Irrsdof (Land Salzburg) gestorben.
"Habe d'Ehre Karl!"
Politikerinnen und Politiker aller Couleurs reagierten am Sonntag auf das Bekanntwerden der Todesmeldung. Österreich verliere "einen wahren Volksschauspieler. Niemand hat mit so viel Liebe zu den Menschen das Sympathische und Liebenswerte hinter manchmal ruppigen Oberflächen gefunden und zum Leuchten gebracht. Habe d'Ehre, Karl!", schrieb der für Kunst ressortzuständige Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) auf Twitter. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) nannte Merkatz "nicht nur einen großartigen Volksschauspieler, sondern auch einen ganz feinsinnigen Menschen".
"Karl Merkatz' Tod ist ein unersetzlicher Verlust für das heimische Kulturleben", zeigte sich Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) "bestürzt über das Ableben des großen Volksschauspielers". "Merkatz und die Freiheitliche Partei waren mit Sicherheit nicht auf einer Linie, es ist aber zu betonen, dass Merkatz immer den fairen Diskurs wahrte", ließ der freiheitliche Kultursprecher Thomas Spalt wissen. "Auch in seiner kurzen Zeit als Obmann von SOS-Mitmensch ging es ihm um Menschenrechte und nicht politische Hetze wie heute."