Blankes Unverständnis ob der Regierungspläne, harsche Kritik an der ÖVP und vor allem auch an den Grünen, flammende Appelle für den Erhalt der "Wiener Zeitung" samt Liebeserklärungen: Wo "Solidaritätsabend" draufstand, war tatsächlich ganz viel Solidarität drin für die von der Einstellung bedrohte älteste Tageszeitung der Welt. Kabarettist Josef Hader versammelte unter dem Titel "Rettet die Wiener Zeitung" eine illustre Runde von Kunstschaffenden in der Wiener Kulisse, die alle ihre jeweilige Sicht auf die Causa in verschiedenster Form darlegten, sei es als gelesene Texte, Stand-up-Comedy oder Gesang. Selbst Peter Weck und der selige Heinz Petters waren anwesend, und zwar in einem kurzen Filmausschnitt aus dem "Hofrat Geiger"-Film von 1996, in dem Petters als Taxifahrer Fucik feststellte: "Das Amtsblatt ist spannender als jeder Krimi."
Durch den Abend führte Astrid Zimmermann, ihres Zeichens ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende der "Wiener Zeitung" und Generalsekretärin des Presseclubs Concordia. Sie ließ in ihrer Moderation die eine oder andere Spitze gegen die für Wohl und Wehe der Zeitung verantwortlichen Politikerinnen (Männer mitgemeint) los. Ihre Bühne kostenlos zur Verfügung stellte Kulisse-Chefin Alexa Oetzlinger, die betonte: "Die Wiener Zeitung ist unverzichtbar für unsere Demokratie, weil fundierter Qualitätsjournalismus in Österreich selten ist."

Altbundespräsident Heinz Fischer richtete einen flammenden Appell an die Regierung, assistiert von Astrid Zimmermann.
- © Robert Newald"Jeden Zentimeter Boden verteidigen"
Den Ehrenschutz für den Abend übernahm Bundespräsident a.D. Heinz Fischer, der zur Einleitung gleich einmal auf die höchst prominent unterstützte Petition hinwies, die eine Übergangsfrist von 18 Monaten für eine Neuaufstellung fordert, um die tägliche Printausgabe weiterhin zu ermöglichen. Die Reaktion der Bundesregierung bisher: "Null. Das ist sehr traurig und eigentlich auch ein Zeichen von Schwäche", so Fischer. Umgekehrt sei es auch "ein zusätzlicher Anlass, nicht lockerzulassen und sich abspeisen zu lassen". Damit war das Motto des Abends ausgegeben. Warum sich der Altbundespräsident für die "Wiener Zeitung" einsetzt: "In Österreich wie in anderen Staaten haben wir nach einem mühevollen Prozess eine Demokratie geschaffen, eine parlamentarische, pluralistische, die keine Selbstverständlichkeit ist und gepflegt werden muss." Die Printmedien seien in diesem Zusammenhang ganz wichtig - und eben auch die "Wiener Zeitung". Da müsse man "jeden Zentimeter Boden verteidigen". Gegen die "Wiener Zeitung" seien "Aktionen im Gang, die auf deren Eliminierung als Tageszeitung hinauslaufen". Er sei jedem dankbar, der hier demokratischen Widerstand leiste. Er wies darauf hin, dass es zu dem Gesetzesentwurf alles andere als "schallende Zustimmung" gebe. "Auch die Bundesländer und große Interessenvertretungen haben Einwände." Selbst die Reaktionen aus den Ministerien müssten laut Fischer ein Anlass sein, noch einmal ernsthaft darüber zu sprechen, ob das geplante Gesetz sinnvoll ist.

Josef Hader las einen knapp hundert Jahre alten Text.
- © Lukas BeckDie Architektin Isabella Marboe und ihr Kollege Jürgen Radatz wiesen namens der Initiative "Baukultur für Medienvielfalt" auf die Notwendigkeit einer kritischen Öffentlichkeit hin, die von der Wiener Zeitung gefördert werde. "Sie biedert sich niemandem an. Das ist nur möglich, weil sie eine unabhängige Zeitung ist." Statt sie zu zerstören, solle sich die türkis-grüne Bundesregierung lieber überlegen, wie sie das Blatt in eine positive Zukunft führen könne. "Die Wiener Zeitung braucht Leserinnen und Leser. Und der Medienstandort Österreich braucht die Wiener Zeitung - heute mehr denn je."

Pizzera & Jaus reisten mit ihrer A-Capella-Band Das wird super an.
- © Lukas Beck"Wie lebt es sich als Totengräber?"
Nachdem das Kabarettduo Flüsterzweieck einen Auszug aus seinem aktuellen Programm gezeigt hatte, zerlegte der Schriftsteller Robert Menasse in einer aus Asien übermittelten und vom Schauspieler Cornelius Obonya furios vorgetragenen Botschaft spitzfindig und süffisant die Aussage von Susanne Raab: "Die Zukunft des Medienmarktes ist das Digitale. Und diesen Weg bestreitet die Wiener Zeitung nun auch." Am Ende kam dabei heraus, dass die innere Stimme der türkisen Medienministerin eigentlich ein klares Bekenntnis zum Fortbestand der Tageszeitung abgelegt haben dürfte - was für tosenden Applaus sorgte.

Der Satiriker Peter Klien meinte im Anschluss, die Regierung wisse offenbar schon lange nicht mehr, was sie mit der ältesten Tageszeitung der Welt machen solle. Er hätte da eine Idee: "Sie lesen!" Nicht nur er betonte die 320-jährige Geschichte des Blattes. Auch der Kabarettist und "Wiener Zeitung"-Kolumnist Severin Groebner zählte auf, was alleine in Wien jünger ist: "Alle Ringstraßengebäude, das Riesenrad, die Karlskirche - die schafft man doch auch nicht einfach ab". Klien hatte auch gleich eine Erklärung für die geringe Leserzahl: "Weil sie so nüchtern ist - und nüchtern, das mögen die Leute in Österreich nicht so gern." Er übte vor allem Kritik an der geplanten Journalistenausbildung außerhalb der Redaktion im Einflussbereich des Kanzleramtes und fragte: "Hat nach Sebastian Kurz noch irgendjemand über den Gesetzesentwurf drübergeschaut?" Er sprach auch die Regierung direkt an: "Wie lebt es sich als Totengräber einer Institution?"

Alexa Oetzlinger stellte ihre Kulisse kostenlos zur Verfügung.
- © Lukas BeckErika Pluhar, die Doyenne des Chansons in Österreich, hatte dann - begleitet vom Pianisten Roland Guggenbichler - das Lied mit dem passenden Titel parat: "Trotzdem", sang sie und erklärte, dass sie "für den Erhalt der vernunftbegabten Berichterstattung" kämpft. Auch Chris Lohner wäre gerne bei diesem Abend dabei gewesen, sie musste aber wegen einer Operation passen und schickte Grüße, ebenso wie Ernst Molden, der "eher die Lipizzaner auf der Alm verwildern lassen" würde, als die "Wiener Zeitung" einzustellen.

Junge Wilde: Miriam Hie . . .
- © Lukas BeckUnterschriften sollen Raab übergeben werden
Wie breit der öffentliche Widerstand ist, zeigte Gerhard Ruiss auf. Der Schriftsteller und Geschäftsführer der IG Autorinnen und Autoren verwies auf rund 1.500 Personen und 260 Kunst- und Kultureinrichtungen, die mittlerweile den Aufruf an die Regierung unterzeichnet haben. All diese Unterschriften sollen demnächst Medienministerin Raab übergeben werden. In seinem Text zerpflückte Ruiss nicht nur deren Konzept für die "Wiener Zeitung", sondern übte auch harsche Kritik an der grünen Mediensprecherin Eva Blimlinger: "Sie versucht, die Abschaffung als Weiterführung zu verkaufen." Statt Erhaltenswertes zu schützen, was eigentlich zu ihren Kernkompetenzen gehöre, würden die Grünen nun darum streiten, "wer dem Leichenzug als Sargträger vorangehen darf".

. . . und Maria Muhar.
- © Lukas BeckFast schon zurückhaltend mutete da die mittlerweile hinreichend bekannte Würdigung von Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek für die "Wiener Zeitung" an, die - gesprochen von Maria Happel - eingespielt wurde.
Starke Worte gab es auch von den beiden Kabarettistinnen Maria Muhar und Miriam Hie. Die eine arbeitete sich an der heimischen Medienlandschaft und an deren Lesern (Frauen eher nicht mitgemeint) ab und erläuterte dabei anschaulich, warum aus ihrer Sicht eine gedruckte Tageszeitung allemal wertvoller ist als ein Online-Medium. Die andere stellte fest: "Anständiger, unabhängiger Journalismus, wo noch richtig recherchiert wird, ist etwas Exotisches geworden." Die asiatisch-stämmige Kabarettistin, Schauspielerin und Moderatorin Hie erzählte auch, in welche peinlichen Fettnäpfchen Journalisten (jene der "Wiener Zeitung" nicht mitgemeint) im Umgang mit ihr bereits getreten sind. Wenn sie strukturellen Rassismus und Sexismus humoristisch aufarbeitet, weiß man nicht so recht: Ist das jetzt zum Lachen oder doch zum Weinen?

Auch Flüsterzweieck (Antonia Stabinger und Ulrike Haidacher) spielten für die "Wiener Zeitung".
- © Lukas BeckZum Weinen jedenfalls findet wohl auch Doron Rabinovici das drohende Ende der "Wiener Zeitung". Entsprechend deutlich war sein Statement: "Die Regierung tut so, als wolle sie das Blatt retten, indem sie es liquidiert." Und das, was davon übrig bleibe, werde "zu einer Journalismusausbildung am Gängelband der Regierung verdammt". Die Einstellung der "Wiener Zeitung", so der Schriftsteller, "spiegelt die Einstellung der Koalition zur Medienvielfalt wider". In einer Zeit, in der "überall gegen Qualitätsmedien gehetzt werde", sei es umso wichtiger, diese Zeitung zu retten. Denn: "Es geht nicht um irgendeine Zeitung. Es geht um eine Stimme der Republik, um ein Kulturerbe. Sie zu erhalten, ist ein Vermächtnis und eine Zukunftschance. Mit ihr kann die Regierung neue Modelle für eine freie Presse entwickeln."

Severin Groebner zählte auf, was alles jünger ist als die "Wiener Zeitung" - und das ist allein in Wien einiges an altehrwürdigen Gebäuden.
- © Lukas BeckRücktrittsaufforderung an die Medienministerin
Nachdem Moderatorin Zimmermann berichtet hatte, dass auch "Krone"-Herausgeber Christoph Dichand in seltener Einigkeit mit "Falter"-Chef Armin Thurnher gegen die Einstellung der "Wiener Zeitung" eintritt, präsentierte Kabarettist Florian Scheuba eine aus seiner Sicht ganz einfach umzusetzende Idee für den Erhalt: Die Millionen für "Österreich" müssten bloß der "Wiener Zeitung" zugutekommen und diese statt des Boulevardblattes in den Öffis aufgelegt werden. Er zog auch über die Medienbehörde RTR (Rundfunk- und Telekom-Regulierung) her, die für die Vergabe von Medienförderungen zuständig ist und forderte indirekt die Medienministerin zum Rücktritt auf.

Peter Kliens Erklärung, warum die "Wiener Zeitung" so wenige Leser hat: "Sie ist so nüchtern - und nüchtern, das mögen die Leute in Österreich nicht so."
- © Lukas BeckZuvor hatte sein "Staatskünstler"-Kollege Thomas Maurer aus Parodien von Egon Friedell und Alfred Polgar über "Die aufrichtige Zeitung" zitiert. Die im Saal anwesenden Journalistinnen und Journalisten lachten darüber wohl am meisten. Und auch wenn der Text gute hundert Jahre alt ist, so finden sich darin nur allzu viele Parallelen zur aktuellen Realität.

Auch Thomas Maurer erklärte sich solidarisch mit der ältesten Tageszeitung der Welt.
- © Lukas BeckNatürlich trat auch der Initiator dieses Solidaritätsabends, Josef Hader, selbst auf. Und auch er las einen knapp hundert Jahre alten Text, nämlich einen Auszug aus Lion Feuchtwangers Politroman "Erfolg" - einem Buch, das 1934 von den Nazis verboten und verbrannt wurde. Auf den ersten Blick hat es wenig mit der "Wiener Zeitung" zu tun, "aber bei genauerem Hinsehen zeigt es, wie eine Demokratie zerstört werden kann", so Hader. Eine Demokratie, für die ein Medium wie die "Wiener Zeitung" in ihrer jetzigen Form unverzichtbar sei.

Cornelius Obonya verlas einen Text von Robert Menasse, in dem dieser eine Aussage der Medienministerin süffisant zerpflückte.
- © Lukas BeckDen musikalischen Schlusspunkt des stimmigen Abends setzten Paul Pizzera und Otto Jaus mit ihrer A-Capella-Band Das wird super. Sie sangen ihre Version von "Die Gedanken sind frei" über Politiker, die "Angst wollen und Spaltung, ein Volk ohne Haltung", und "Kanzler im Schatten", die "schwören einen Meineid auf die Meinungsfreiheit". Zuvor widmeten die jungen Wilden ihr Lied "Je höher die Absätze, desto kürzer die Sätze" einer "jungen Wilden" der heimischen Politik: der türkisen Staatssekretärin Claudia Plakolm.

"Die Regierung tut so, als wolle sie das Blatt retten, indem sie es liquidiert", befand Schriftsteller Doron Rabinovici.
- © Lukas BeckDer Schlussapplaus der rund zweihundert anwesenden Zuschauer war frenetisch ob der künstlerischen Darbietungen - und doch auch wehmütig ob der Befürchtung, dass auch die Appelle dieses Solidaritätsabends nicht von der verantwortlichen Politik gehört werden könnten. Dabei hat sie alle Möglichkeiten, sie sich wieder und wieder in Ruhe anzuhören: auf Youtube, wo nun ein Live-Mitschnitt aus der Kulisse verfügbar ist.