Milo Rau wird die Wiener Festwochen ab der Ausgabe 2024 für vorerst fünf Jahre als Intendant verantworten. Der Schweizer Theatermacher folgt auf Christophe Slagmuylder, der nach den heurigen Festwochen in seine Heimatstadt Brüssel wechselt – und damit ein Jahr früher als ursprünglich paktiert abzieht. Slagmuylder, der in Wien wiederholt für mangelnden Publikumszuspruch getadelt wurde, gab seinen bevorstehenden Abgang im Herbst 2022 bekannt; entsprechend emsig suchte Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler seither nach einem Nachfolger.

Die Kür Milo Raus sei das Ergebnis eines "hochkarätigen Prozesses", betonte Kaup-Hasler am Freitag. Insgesamt 36 Bewerbungen waren eingelangt, sechs internationale Anwärter seien zu Hearings eingeladen worden. Die Findungskommission – besetzt unter anderem mit Aufsichtsratsvorsitzendem Rudolf Scholten und der ehemaligen Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann – arbeitete dann einen ungereihten Zweier-Vorschlag aus. Warum Kaup-Hasler dem Schweizer den Vorzug gab? Rau sei einer "der wichtigsten, herausragendsten Regisseure der jungen Generation"; er verkörpere Theaterleidenschaft, besitze ein Gespür für die drängenden Themen der Zeit und sei "in der internationalen Theaterlandschaft bestens vernetzt".

Ziel: Unverwechselbarkeit


Tatsächlich ist Rau in der Bühnenwelt kein Unbekannter: 1977 in Bern geboren, gestaltete der politische Denker seit 2002 mehr als 50 Theaterstücke, Filme, Bücher, Aktionen. Mit seinen Bühnenarbeiten ist Rau eine arrivierte Größe im Festivalzirkus, beehrt unter anderem das Berliner Theatertreffen, die Salzburger Festspiele, das Festival d’Avignon, die Theaterbiennale Venedig und nicht zuletzt die Wiener Festwochen. Seit 2018 amtiert er am NTGent als künstlerischer Leiter, wird den Posten am belgischen Stadttheater aber zugunsten der Festwochen räumen.

Kaup-Hasler erwartet sich von Rau für die Zukunft eine Trendumkehr bei den Publikumszahlen des Wiener Prestigefestivals: Sie wünscht sich wieder "mehr Öffentlichkeit", ohne dies in konkrete Ziffern zu gießen. Die Verkaufszahlen der Festwochen sind in den Vorjahren tatsächlich abgesackt. Ob das allein auf das Corona-Konto geht, wie Kaup-Hasler suggeriert, ist fraglich.

Rau will bei den Wiener Festwochen globale Themen aufgreifen, sie aber lokal verorten. Er könne sich etwa vorstellen, gewisse Stadtteile zu thematisieren oder berühmte Wiener wie Arnold Schönberg, sagte Rau; er peilt ein "unverwechselbares" Programmaufgebot an und will ein "mythisches Theaterfest" gestalten. Nachdem er bereits seine Vorhaben für Gent in einem "Manifest" fixiert hatte (darin enthalten etwa ein Bekenntnis zu Mehrsprachigkeit und zur Arbeit mit Nicht-Profis), plant er auch für Wien ein solches Druckwerk. "Das werden 10.000 Debatten sein, wird aber auch sehr, sehr konkret sein."

Apropos konkret. Rau möchte in Wien unter anderem mit dem russischen Regisseur Kirill Serebrennikow und der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek arbeiten. Wichtige Bezugspunkte sind für ihn der deutschsprachige Raum, aber auch Russland, Frankreich, Brasilien; seine Arbeiten sollen "Fenster zur Welt aufreißen". In Wien wird er dies etwa mit einer "Antigone" versuchen, die im Amazonas angesiedelt ist und als Kooperation von Burgtheater und Festwochen geplant ist. Ein weiteres Projekt: 2024 wollen sich die Festwochen mit Karl Kraus befassen, dessen Geburt sich zum 150. Mal jährt.

Auch Rau hatte übrigens zuletzt Geburtstag: Diese Woche ist er 46 geworden und in Wien üppig beschenkt worden, unter anderem mit einer "Schwarte" über Karl Kraus und einer Sachertorte, die er am Freitag dann auch zur Pressekonferenz mitbrachte, gewissermaßen als kulinarische Pointe. Bleibt zu hoffen, dass ihm die Stadt so gewogen bleibt.