Mangelnde Expertise im Fach der Salome kann man ihr nicht vorwerfen: Malin Byström hat die - im doppelten Sinn - mörderische Partie in Amsterdam, London und am Bolschoi-Theater gesungen, ist in Salzburg in Romeo Castelluccis Inszenierung eingesprungen und hätte fast eine Premiere in Mailand bestritten, wäre die Corona-Pandemie nicht direkt nach den Proben ausgebrochen.
Ab heute, Donnerstag, verkörpert die Schwedin die Salome nun in einer Premiere der Wiener Staatsoper, inszeniert von Cyril Teste und dirigiert von Musikdirektor Philippe Jordan. Naheliegende Frage an Byström: Wie sehr ist ein Salome-Auftritt ein stimmlicher Stresstest? Besteht in den pausenlosen zwei Stunden mit blechgepanzertem Orchester nicht das Risiko, sich die Stimme zu ramponieren? "Das ist immer ein Thema, das Werk ist ja stark orchestriert", sagt Byström, hat aber ein Rezept dagegen: "Man sollte sich nicht auf einen Kampf mit dem Orchester einlassen. Ich muss versuchen, mit meiner Stimme mein Ding zu machen und darauf vertrauen, dass sich der Maestro darum kümmert, dass man mich auch hört." Das klappe, weiß Byström aus ihrer jahrelangen Erfahrung, "auch normalerweise gut".
Salomes düstere Kindheit
Und was ist das Besondere an der Wiener Premiere? "Was ich sehr schön finde: Wir sprechen in den Proben viel über den Text. Cyril will die Geschichte so erzählen, wie sie geschrieben ist." Außerdem zwänge der Franzose den Darstellern keine vorgefertigte Personenregie auf: Er werfe ihnen Ideen zu und wolle sehen, wie sie damit umgehen: kreative Teilhabe durchaus erwünscht.
Das Stück mit der blutigen, biblischen Handlung wird an der Staatsoper mit viel Live-Videos erzählt werden - und mit einer psychologischen Lesart. Was reitet die junge Salome, das Objekt ihrer Begierde enthaupten und sich den Kopf des Propheten Jochanaan dann kussfertig servieren zu lassen? Es sei nicht die Verderbtheit einer Femme fatale, sagt Byström, sondern liege an toxischen Lebensumständen. Herodes, Salomes mächtiger Stiefvater, streckt die gierigen Pranken nach ihr aus, Mutter Herodias, die liederliche Karrieristin, schreitet dagegen nicht ein. Salome, meint Byström, sei ein Missbrauchsopfer, werde von traumatischen Erinnerungen gequält und einer üblen Gegenwart. Byström: "Sie wurde in diesem Haushalt nicht geschützt, sie muss überleben und hat schlecht verstanden, wie man mit der Welt umgeht." Und: "Sie hat nicht wirklich gelernt, wie man normal liebt." Den berühmten Tanz der Salome wird an der Staatsoper ein junges Alter Ego der Protagonistin gestalten - und in dieser mütterliche Gefühle wecken. "Ich sehe dieses Mädchen und damit meine Kindheit. Vielleicht habe ich die Chance, etwas von dieser Salome zu retten", sinniert Byström über die Rolle.
Seltsam eigentlich: Die Sopranistin ist weltweit an ersten Häusern tätig, hat die Wiener Staatsoper aber bisher nur einmal beehrt, für einen "Don Carlos" 2020. Das soll sich nun ändern; Direktor Bogdan Ročić hat ihr im Vorjahr unter seinem Dach eine "große Zukunft" prophezeit. Was das genau bedeutet? Leider: Byström lässt es sich im Interview nicht entlocken. Nur so viel: Sie werde hier einige Rollen verkörpern.
Denkbar jedenfalls, dass es ein Mix aus Premieren und Repertoire sein wird, denn den mag sie: "Eine Premiere bekommt mehr Aufmerksamkeit, die Arbeit ist künstlerisch interessanter. Dafür ist eine Wiederaufnahme einfacher, wenn man Familie hat - dann muss man nicht sechs Wochen lang proben, darum mache ich viele solche Termine." Wobei: "Man muss schon ein, zwei Premieren pro Jahr machen, um an der Karriere zu arbeiten."