Das Patriarchat ist schuld. Sowieso an allem. Speziell aber am blutigen Drama, das sich rund um Prinzessin Salome entspinnt. Es hat nicht nur ihr ganz klar die Verteilung der Machtbereiche eingebläut. Männer sitzen hier allein an den Schalthebeln - politisch wie religiös, familiär wie gesellschaftlich. Der Weg zu Macht führt für Frauen einzig über ihren Körper, über das Spiel mit dem Begehren der Männer - ihrer offenkundigen Schwachstelle. Dass Salome diese Macht ihrem lüsternen Stiefvater und Onkel gegenüber maximal ausspielt, bezahlt sie mit ihrem Leben. So will es die Logik patriarchaler Machterhaltung.

In der Neuproduktion von Richard Strauss’ Oper "Salome" an der Wiener Staatsoper fügt Regisseur Cyril Teste dieser Erzählung noch eine Dimension hinzu. Die im Libretto mehrfach angedeuteten sexuellen Übergriffe des Tetrachen Herodes auf die Tochter seiner Frau konkretisiert der Regisseur mit dem Vorwurf des Kindesmissbrauches, indem er der Salome ein kindliches Alter Ego zur Seite stellt. Damit rückt er den Fokus auf eine besonders grausame Spielart patriarchaler Strukturen.

Blutige Rache eines Missbrauchsopfers

Dieser Fokus ist auf den ersten Blick naheliegend, sorgt für bedrückende szenische Momente und gibt der Geschichte eine psychologische Tiefendimension. Auf den zweiten Blick schwächt es jedoch die Position der Salome, denn sie wird zum Traumaopfer mit gespaltener Persönlichkeit. Damit verliert sie die kraftvolle gesellschaftliche Position der aufbegehrenden, äußerst grausamen prä-feministischen Selbstermächtigung.

Der biblische Mythos der Salome wird in der Staatsoper zum psychologisierten Familiendrama - Missbrauchsvorwürfe inklusive. - © Staatsoper/Michael Pöhn
Der biblische Mythos der Salome wird in der Staatsoper zum psychologisierten Familiendrama - Missbrauchsvorwürfe inklusive. - © Staatsoper/Michael Pöhn

"Salome" auf ein tragisches Familiendrama herunterzubrechen, macht die Geschichte zwar heutiger und unmittelbarer, beraubt den Stoff jedoch seiner archaischen und kollektiven Kraft. Testes Lesart ist innerhalb seiner Erzählperspektive gut gebaut sowie fein geführt und wirft spannende Fragen auf über das Verhältnis von Sexualität und Macht - damit ist diese Salome jedenfalls authentischer als jene der vor Erotik sprühenden lasziven Verführerin.

Was dem Abend jenseits dieser intimen Psychologisierung fehlt, sind die Wirkmacht starker Bilder und die mythologische, ja geheimnisvolle Dimension des Stoffes. Die Einheitsbühne eines zeitlosen Palastgebäudes mit wehenden weißen Vorhängen von Valérie Grall ist ebenso beliebig-hübsch wie die eleganten Kostüme von Marie La Rocca. Optisch ist es damit eine höchst praktikable wie konventionelle Inszenierung - daran ändern auch die effektvoll eingesetzten Live-Videos nichts. Für ein Repertoire-Haus nicht das schlechteste.

Für den Abend ein absoluter Glücksfall - für das Repertoire ein potenzielles Problem - ist die Salome dieser Spielserie. Die schwedische Sopranistin Malin Byström ist der zentrale Stern, der den Abend szenisch und stimmlich trägt. Nicht nur durch die expressiven, stets eleganten geführten Linien, mit der sie diese fordernde Partie meistert, auch darstellerisch zeigt sie eine präsente zerrissene Frau, die zwischen machtvollen Männern zerrieben wird. Dass sie selbst zur Täterin wird, geschieht nicht aus reinem Wahn. Salome ist durchaus bewusst, dass sie mit der Forderung nach dem Kopf des Jochanaan nicht nur den sie abweisenden Propheten mit dem Tod bestraft, sondern auch Herodes Furcht vor dem Mann im Kerker schürt. Sie rächt sich mit einer Tat also an beiden.

Die dramaturgische Schwachstelle ist der erst vor einigen Tagen eingesprungene Wolfgang Koch als Jochanaan. Dass dieser sein Begehren gegenüber Salome unterdrücken muss, schwächt seine Rolle. Auch dass der versierte Bariton den Propheten dramatisch kernig zeichnet, macht die Figur allzu menschlich, was jegliche Aura des scheinbar Unantastbaren zerstört. Tenor Gerhard Siegel ist ein viriler, umtriebiger Herodes, die Herodias von Michaela Schuster mitunter etwas zu expressiv. Mit solider Präsenz punkten Daniel Jenz als Narraboth und Patricia Nolz als Page.

Flirrendes Kaleidoskop der
fein balancierten Nuancen

Musikalisch lässt diese Produktion wenig Wünsche offen. Noch-Musikdirektor Philippe Jordan realisiert dafür am Pult des Staatsopernorchesters das, was er am besten kann: einen stimmigen und vitalen Gesamtklang. Seine Umsicht ist nie falsche Rücksicht; dass er den Sängern Raum gibt, geht nicht auf Kosten des Orchesters. Die dramatischen Zuspitzungen haben Kraft und Farbe, verlieren aber nie die Balance aus dem Blick. Motive und Akzente haben Platz zum Atmen, das Geschehen gerät dabei aber nie ins Stocken. Insgesamt ist es ein dynamischer, flirrender Strauss, den Jordan am Donnerstagabend formt, einer, der stets auf dem Sprung ist und den dramatischen Bogen mit aller Klarheit und Dringlichkeit nachzeichnet.

Vor allem Malin Byström als Salome wurde bei der Premiere einhellig bejubelt, von Philippe Jordan scheint sich das Wiener Publikum schwer zu trennen, das Regiekonzept stieß auf geteilte Reaktionen.