Ruth Schwarz hat ein Problem: Ihre Eltern sind bei einem Unfall verstorben und ihr letzter Wille ist es, in Groß-Einland, dem Ort ihrer Kindheit, begraben zu werden. Allerdings existiert nirgends ein Ort namens Groß-Einland. Was also tun? Das ist der Ausgangspunkt von Raphaela Edelbauers Debütroman "Das flüssige Land". Ruth Schwarz setzt sich ins Auto, fährt los und findet, jenseits von GPS-Koordinaten und Landkarten, komplett benebelt durch Tabletten, just jenen Ort, der nicht gefunden werden will. Sie richtet sich häuslich ein, taucht zunehmend in die Dorf-Geheimnisse ein und gerät in manche Untiefen der österreichischen Geschichte.

Der 2019 erschienene Roman der 32-jährigen Wiener Autorin wurde prompt auf die Shortlist des Österreichischen wie des Deutschen Buchpreises aufgenommen und besticht durch seine eigenwillige Verbindung aus satirischem Heimatroman, dunkler Vergangenheitsbewältigung und magischem Realismus. Die Regisseurin Sara Ostertag hat nun den Roman in einer gelungenen Fassung auf die Bühne der Burgtheater-Nebenspielstätte Kasino am Schwarzenbergplatz gehievt. Die Inszenierung versucht, den unterschiedlichen Ebenen des Romans gerecht zu werden.

Hoch und höher

Live-Musiker Paul Plut spielt nicht nur am Piano, sondern hat auch ein akkordeonähnliches Instrument vor sich und begleitet die Akteure etwa mit Mundart-Liedern, die Satzfragmente aus dem Roman zitieren und in ihrem Minimalismus an Attwenger erinnern. Damit setzt er gekonnt Akzente.

Ruth Schwarz, die Ich-Erzählerin im Roman, wird auf der Bühne von drei Schauspielerinnen dargestellt, die sich jeweils direkt an das Publikum wenden und abwechselnd auch sämtliche Nebenrollen spielen. Das fein abgestimmte Frauentrio besteht neben Burg-Aktrice Katharina Pichler aus Schauspielerinnen der freien Szene - Suse Lichtenberger und Michèle Rohrbach.

Unter dem Ort Groß-Einland verbirgt sich ein riesiger Hohlraum, der über das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner zu bestimmen scheint und die Statik des gesamtes Ortes bedroht. Wie die Autorin über das Absinken ganzer Häuserzeilen schreibt, wie der Hauptplatz erodiert, gehört zu den Höhepunkten des Romans.

Diese verrückte Atmosphäre lässt sich schwer auf die Bühne übertragen. Ostertag versucht es mit zwei großen Trampolins. Die Darstellerinnen sind nahezu die gesamte Zeit auf diesen Sprunggeräten zugange - hüpfen hoch und höher oder stapfen wippend über die wackelige Matte. Diese sinnfällige Metapher für einen Zustand, in dem man keinen festen Boden mehr unter den Füßen hat, wird im Lauf der 100-minütigen Aufführung etwas überstrapaziert. Letztendlich ist das Trampolin auch ein zu schlichtes Bild, um die eigentümliche Vermischung aus fantastischen mit realistischen Elementen darzustellen, die den Roman auszeichnet. Die Landschaft spiegelt hier gleichsam den psychischen Abgrund der Bewohner.

Wie Ruth bald herausfindet, wurden in Groß-Einland kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs 800 Zwangsarbeiter ermordet. Das beharrliche Schweigen der Einwohner, die dominante Gräfin (mit Grandezza von Rainer Galke verkörpert) erinnern nicht zufällig an das Massaker, das sich in letzten Kriegstagen im burgenländischen Rechnitz ereignete: Die Leichen von 180 jüdischen Zwangsarbeitern wurden bis heute nicht geborgen, Elfriede Jelinek schrieb 2008 darüber ein Stück mit dem Titel "Rechnitz (Der Würgeengel)".

Der Roman "Das flüssige Land" bezieht Spannung und Witz aus der Doppelbödigkeit der Handlung und der Unzuverlässigkeit der Protagonistin. Die humorvoll-absurden Aspekte streicht die Inszenierung gut hervor, die dunkleren Aspekte gehen in der sportiven Darstellung jedoch verloren.