"Jede Frau muss sich selbst darum kümmern, wie sie Kind und Karriere vereinbaren kann, reibt sich auf bei der Suche nach individuellen Lösungen, obwohl doch auch die Theater als Arbeitgeber mitziehen müssten", sagt Lisa Weidenmüller. "Wenn man es dann nicht schafft, fühlt es sich wie das eigene Versagen an und man übersieht dabei völlig, dass massive strukturelle Probleme dahinterstecken." Die Schauspielerin hat einen fünfjährigen Sohn, arbeitet in der freien Szene und gehört zu jener Generation von Frauen, die sich um tektonische Verschiebungen der Theaterstrukturen bemühen, indem sie erstmals Vorschläge und Forderungen formulieren.
Bislang waren Bühnenmütter in der männerdominierten Theaterbranche vor allem darum bemüht, kinderlos zu wirken, um einen reibungslosen Ablauf des Betriebs zu gewährleisten. Doch die Kulturbetriebe geraten in Bewegung. Im Windschatten der MeToo-Bewegung wächst ein Bewusstsein für Geschlechterungleichheit, am Theater werden männlich dominierte Hierarchien hinterfragt. Arbeits- und Produktionsbedingungen am Theater stehen auf dem Prüfstand: Es geht um faire Entlohnung, ein angstfreies Arbeitsklima und diverse Ensembles. Warum nicht auch endlich um die Bedürfnisse von Eltern, die am Theater arbeiten?
Mit Baby ins Theater
In Deutschland setzt sich das im Vorjahr gegründete Netzwerk "Bühnenmütter" für Belange von Eltern ein, hierzulande gibt es die Initiative "HOOD for artist parents", die im Umfeld der IG Freie Theaterarbeit verortet ist, auch die Plattform "Kill the Trauerspiel" hat Fragen zur Elternschaft auf der Agenda.
Sara Ostertag, eine viel beschäftigte Regisseurin und Mutter einer zweijährigen Tochter, hat sich von Anfang an entschieden, mit ihrer Mutterrolle offensiv umzugehen und Probleme anzusprechen: "Als freischaffende Regisseurin muss ich mich immer den Strukturen des jeweiligen Theaters fügen, die nicht immer familienfreundlich sind. Alle paar Wochen muss ich einen neuen Modus Operandi für die Kinderbetreuung finden. Das ist eine krasse Herausforderung - emotional, organisatorisch, finanziell", so Ostertag. "Warum gibt es an großen Theatern nicht einen Betriebskindergarten?" In der Wirtschaft nicht unüblich, bietet von den heimischen Bühnen bislang nur Graz eine Krippe samt Kindergarten an, allerdings muss man dafür in der steirischen Landeshauptstadt gemeldet sein.
Elternschaft wird sichtbar: Politikerinnen haben ihre Babys im Nationalrat gestillt. Im Literaturbetrieb wird die Vereinbarkeit von Schreiben und Familie thematisiert und in Konferenzen wurde bereits über neue Förderstrukturen nachgedacht, die Elternschaft berücksichtigt.
Nun erreicht die Debatte das Theater. Sara Ostertag erschien bei einer Verhandlung mit einem Intendanten mit ihrer Tochter im Arm. Ein Erdrutsch. Noch vor wenigen Jahrzehnten haben Regisseurinnen Schwangerschaften regelrecht verheimlicht, um beruflich nur ja nicht aus der Kurve zu fliegen. Tatsächlich bestätigt eine HOOD-Umfrage, dass für viele Künstlerinnen der Wiedereinstieg nach der Geburt eines Kindes mit einem veritablen Karriereknick verbunden ist und Jobs danach zum Teil dramatisch wegbrechen.
Regisseurin Anne Bader stemmte sich mit aller Macht dagegen und ging dabei bis an ihre Grenzen. Im ersten Lebensjahr ihres Babys hievte sie drei Produktionen auf die Bühne, um keine vor der Schwangerschaft getroffene Verabredung absagen zu müssen. "Rückblickend war das der Horror", so Bader. Mittlerweile versucht die zweifache Mutter, nicht mehr als zwei Produktionen pro Spielzeit zu übernehmen, zumindest solange die Kinder klein sind. Teilzeitarbeit als freischaffende Künstlerinnen? "Natürlich ist die künstlerische Arbeit weniger präsent." Die Aufgaben teilt sich Bader gleichberechtigt mit ihrem Partner, der als Autor und Regisseur ebenfalls am Theater arbeitet. "Es gibt kaum Vorbilder. Wir erfinden den Weg, während wir ihn gehen."
Die freie Szene nehme hier eine besondere Vorreiterrolle ein, meint Ulrike Kuner, Geschäftsführerin der IG Freie Theaterarbeit. "Das Thema ist präsent und es gibt individuelle Absprachen, um Eltern das Leben zu erleichtern." Veronika Steinböck, Intendantin des Kosmos Theaters und Mutter zweier erwachsener Kinder, kann das bestätigen: "Bei uns ist viel möglich, als Feministinnen sind wir auf der Seite der Frauen." Beispielsweise finden am Kosmos Theater Proben häufig kindergartenkompatibel von 9 bis 15 Uhr statt. An vielen Theatern sind indes geteilte Proben von 10 bis 14 und dann wiederum von 18 bis 22 Uhr üblich. Fatale Arbeitszeiten für Eltern. Auch an Samstagen wird häufig geprobt.
"Keine einfachen Lösungen"
Schauspielerinnen wünschen sich mehr Planbarkeit bei Probenplänen, dass Probenzeiten wochenweise festgelegt werden und nicht erst Spätnachmittags für den nächsten Tag - was zu einem Interessenskonflikt mit Regisseurinnen und Regisseuren führt.
"Es wird keine einfachen Lösungen geben, weil die Bedürfnisse auseinandergehen, aber es geht darum, die Situation von Eltern am Theater wahrzunehmen und gemeinsam nach Möglichkeiten zu suchen", so Bader. Regisseurinnen, die häufig über Wochen hinweg an einer Stadt fern ihres Hauptwohnsitzes leben und arbeiten, würde ein höheres Budget für Reisekosten helfen, sowie eine etwas größere Gastwohnung, damit kleine Kinder mitkommen können oder Familienbesuch möglich ist. "Es gibt immer einen Spielraum", so Sara Ostertag, "es geht darum, das in Verhandlungen auch durchsetzen zu können." Dazu braucht es Intendantinnen und Intendanten mit Verständnis für die Situation.
"Die finanziellen Ressourcen machen den entscheidenden Unterschied aus", so die Schauspielerin und Regisseurin Veronika Glatzner, Alleinerzieherin von zwei Kindern im Alter von drei und sechs Jahren. Glatzner plädiert in sozialen Härtefällen für einen Zuschuss zu Betreuungskosten: "Bei den prekären Arbeitsverhältnissen geht sonst fast die ganze Gage an die Babysitter." Der Posten Kinderbetreuung müsste ins Budget aufgenommen werden.
"Ich kenne wenige Kolleginnen, die Mütter sind", sagt Regisseurin Sara Ostertag, "das ist schade, da doch beides zusammen auch geht." Veronika Glatzner ergänzt: "Mir ist wichtig, dass Frauen, die Künstlerinnen und Mütter sind, nicht zum Problemfall abgestempelt werden." "Ich habe wegen meines Sohnes noch keine einzige Probe verpasst", so Lisa Weidenmüller. "Eltern dürfen sich weder mundtot machen lassen noch ein schlechtes Gewissen haben. Das sollte endlich in der Gesellschaft und auch am Theater ankommen. Da ist die Stimme von Eltern noch zu leise."