Dass die Speisekarte eines sogenannten Thai-China-Vietnam-Restaurants als Libretto einer Oper fungiert, ist schon eher verwunderlich. Weniger allerdings, wenn man bedenkt, dass Peter Eötvös, einer der erfolgreichsten Opernkomponisten unserer Zeit, das Werk nicht als Oper, sondern als Musiktheater überschrieben hat. Als Vertonung des gleichnamigen Theaterstücks von Roland Schimmelpfennig widmet sich das Werk der schonungslosen Darstellung der Schattenseiten und Abgründe unserer modernen, globalisierten Welt. Und die konzentriert sich in Schimmelpfennigs und Eötvös Vorstellung über, hinter, neben und in der Küche des Asia-Schnellimbisses.
In der Küche der Restaurants "Der Goldene Drache" arbeiten fünf Personen - angeblich alle Vietnamesen. Ein Mann hat gerade neu angefangen und leidet außerdem an Zahnschmerzen. Eine junge Frau einen Stock darüber erzählt ihrem Großvater von ihrer Schwangerschaft und wird von ihrem Freund verlassen. Das Zahnweh des Kleinen wird unerträglich, ein Zahnarztbesuch ist wegen der fehlenden Aufenthaltsberechtigung undenkbar. Die Kollegen ziehen ihm mit einer Rohrzange den Zahn, der in hohem Bogen durchs Restaurant fliegt und in der Suppe der einen Stewardess landet. An der nicht endenden Blutung verstirbt schließlich der Kleine, der ursprünglich wegen der Suche nach seiner Schwester nach Europa gekommen war. Zwischen all die menschlichen Tragödien eingeflochten die Parabel von der Ameise und der Grille, die von der Ameise versklavt und auf brutalste Weise misshandelt wird.
Regisseur Jan Eßinger und Bühnenbildnerin Sonja Füsti stellten aber keine Küche auf die Bühne, sondern erweiterten den Zuschauerraum mit zusätzlichen Sitzreihen bis in den Bühnenraum. Die drei Männer und zwei Frauen, die die insgesamt 18 Rollen zu spielen hatten, bewegten sich dann auch im gesamten Raum, teils unmittelbar neben dem Publikum. Dadurch verlieh der Regisseur dem Stück eine Nähe und Unmittelbarkeit, die die teils erschütternden Szenen umso intensiver auf einen wirken ließen.
Klang des Glückskekses
Die fünf Akteure stellten sich zu Beginn als Angestellte einer Reinigungsfirma - entsprechende Kittel trugen sie - vor und zogen sich auch bei den Rollenwechseln nicht um. Jeder konnte jeder sein. Oberflächlich als Spiel entlarvt, machte dies dem Publikum die Situation teils noch unangenehmer, verdeutlichte es doch die Allgegenwärtigkeit prekärer und menschenunwürdiger Arbeitsverhältnisse und Lebensumstände in unserer Welt.
Die musikalische Leitung hatte mit Walter Kobéra ein Fachmann in Sachen zeitgenössischer Oper inne. Die 16 Musiker und Musikerinnen des Klangforums Wien in Kooperation mit der Kunstuni Graz taten ihr Bestes, um Eötvös lautmalerische, bisweilen mit asiatischen Anklängen versehene Musik zu illustrieren. Neben dem klassischen Instrumentarium kamen auch Putzkübel, Küchenutensilien und Glückskekse zur Klangproduktion zum Einsatz. Sängerisch blieb ebenso wenig zum Wünschen übrig, mit Camilla Saba Davies und Felix Heuser durften sich auch Studierende aus München bzw. Graz auf der Bühne beweisen und meisterten die Aufgabe mit Bravour, im Falle Heusers, der die gequälte Grille spielte, auch schauspielerisch höchst intensiv. Genauso überzeugend das übrige Ensemble aus Christa Ratzenböck, Hans-Jürgen Lazar und Peter Schöne.