"Frau Zucker will die Weltherrschaft" - nein, die neueste Musical-Produktion des Theaters der Jugend dreht sich nicht um gesunde Ernährung. Denn Frau Zucker heißt zwar so und macht auch auf süß gegenüber den Nachbarkindern, die sie zu sich einlädt und mit Essen verwöhnt, aber in Wahrheit hasst sie Kinder und saugt ihnen für ihre Auftraggeberin, Frau Doktor Giftig, gemeinsam mit ihrem Helfer, Herrn Braasch, die Lebensenergie aus. Weil nämlich ein Kind so viel Energie hat, wie man Strom aus 400 Millionen Tonnen Rohöl erzeugen könnte. Wenn das kein handfestes Verbrechensmotiv ist.
Aber nein, es ist auch kein Lehrstück über die Energiewende, den Klimawandel oder Nachhaltigkeit. Sondern es geht um ein viel banaleres, aber auch basaleres Thema: ums Kindsein. Im Grunde ist es ein Appell, Kinder einfach Kinder sein und auch einmal herumtoben zu lassen; ihnen nicht ihre Fantasie zu zerstören. Und es geht auch darum, dass man Kinder ernst nehmen sollte. Denn die neunjährige Margarethe, genannt Meg, durchschaut sehr bald die Machenschaften von Frau Zucker, Herrn Braasch und Frau Doktor Giftig - aber ihre Eltern wollen das nicht wahrhaben und glauben lieber den Erwachsenen als dem eigenen Kind. Und selbst Megs halbwüchsiger Babysitter Pauli, mit dem sie sich erst zusammenraufen muss, ist letztlich keine allzu große Hilfe dabei, der Energiemafia (Zitat Pauli) das Handwerk zu legen.

Fein herausgearbeitete Charaktere
Autor und Regisseur Peter Lund verhandelt in seinem Musical auch noch weitere, durchaus schwierige Themen: Depression, häusliche Gewalt, überforderte Eltern und vereinsamte Kinder. Seine Inszenierung ist phasenweise so gruselig, dass manchem Kind im Saal bei der Premiere angst und bange wurde. Und - eigentlich ironisch in diesem Zusammenhang - mitunter wirkt sie fast ein bisschen zu erwachsen für die Zielgruppe ab 6 Jahren. Komponist Wolfgang Böhmer demonstriert währenddessen eindrucksvoll, welche Macht und Kraft Musik auf der Bühne entfalten kann, wenn sie richtig eingesetzt wird. Ohne sein Arrangement wäre die Geschichte wahrscheinlich halb so furchterregend.
Auf der Bühne des Renaissance-Theaters wird jedenfalls viel gesungen und getanzt - und auch ein bisschen gelacht. Wirklich zu lachen haben hier allerdings über weite Strecken nur die Bösen. Isabel Weicken gibt eine herrlich hinterlistige Frau Zucker, Nadine Aßmann macht als Frau Doktor Giftig ihrem Namen alle Ehre, während Ursula Anna Baumgartner als Meg die Verzweiflung aus jeder Pore herausschießt. Fein herausgearbeitete Charaktere krachen hier aufeinander, und als Kind könnte man dabei glatt das Vertrauen in die Erwachsenen verlieren. Und Angst davor bekommen, selbst erwachsen zu werden.