Ungewöhnliches Doppel im Volkstheater: Elfriede Jelineks Stück "In den Alpen" wird mit dem Auftragswerk "Après les Alpes" von Fiston Mwanza Mujila ergänzt. Der 42-jährige Autor, aufgewachsen im Kongo, lebt seit 2009 in Graz, seine Romane ("Tram 83", "Tanz der Teufel") wurden vielfach ausgezeichnet. Im Zoom-Gespräch mit der "Wiener Zeitung" spricht er über das Schreiben und Leben zwischen den Kulturen.

"Wiener Zeitung": Können Sie eigentlich Ski fahren?

Fiston Mwanza Mujila:Ich habe es ein, zwei Mal probiert, aber ich verstehe nicht wirklich, was daran so besonders sein soll. Aber es soll ja auch Österreicherinnen und Österreicher geben, die nicht Ski fahren können, ich bin also nicht allein. Als ich zum ersten Mal schneebedeckte Berge sah, war das wie ein Schock. Im Kongo, wo ich aufgewachsen bin, scheint das ganze Jahr über die Sonne.

Rund ums Ski fahren entfaltet sich Elfriede Jelineks Stück "In den Alpen". Sie thematisiert darin nicht nur den Alpinismus, sondern auch Abgründe der österreichischen Geschichte. Wie verlief Ihre Auseinandersetzung mit Jelineks Text?

Es ist Auszeichnung und Herausforderung zugleich, sich als Schriftsteller mit Elfriede Jelinek zu beschäftigen - sie ist die Grande Dame der österreichischen Literatur. Zunächst habe ich nach etwas gesucht, das uns verbindet. Kein einfaches Unterfangen, auf den ersten Blick haben wir wenig gemeinsam. Über die Sprache konnte ich schließlich eine Brücke von ihrem zu meinem Text bauen. Elfriede Jelinek verwendet Sprache äußerst heterogen - es gibt weder Figuren noch Dialoge im herkömmlichen Sinne, vielmehr tritt die Sprache als solche auf, es gibt Chöre und Solos - überhaupt ist ihre Sprache musikalisch strukturiert. Das liegt mir. Wobei ich keineswegs Jelinek kopieren wollte, sondern bei meiner eigenen Sprache geblieben bin.

Ihre Jelinek-Fortschreibung mit dem Titel "Après les Alpes" ist eine Satire, die den Alpenraum mit dem Globalen Süden vereint - wie kam es zu dieser Verbindung entgegengesetzter Weltregionen?

Die Welt ist ein globales Dorf, Gesellschaften sind heute enger miteinander verbunden als je zuvor. Wenn in der Ukraine ein Krieg tobt, spüren Menschen im Maghreb die Folgen - etwa beim Getreidemangel. Was auf dem einen Ende des Planeten geschieht, wirkt sich auf dem anderen aus, das zeigt uns der Klimawandel ganz deutlich, auch Unrecht und Ausbeutung gibt es leider überall. Auf diese vielfältigen Verbindungen wollte ich hinweisen, meinen subjektiven Blick auf die Welt wollte ich einbringen.

Ihr Text gipfelt in der Entdeckung von Bodenschätzen in einem unterirdischen See, die in der Zukunft zu einem Raubbau und Ausverkauf der Berge führen.

"Après les Alpes" ist eine Reflexion über die Alpen, deren Bedeutung für Österreich und die fragile Zukunft der Bergregion angesichts der Klimaveränderung. In Afrika regnet es weniger, in den Alpen schneit es weniger, wird es in 100 Jahren überhaupt noch Ski-Tourismus wie wir ihn heute kennen geben? Was wird dann aus den Alpen, die für Österreichs Selbstverständnis so viel bedeuten? Wenn ich im Ausland sage, ich lebe in Österreich, wird das Land sofort mit Skifahren oder Musik verbunden. Berge und Mozart, das ist das Bild, das sich die Welt von Österreich macht, dabei gibt es so viel mehr.

Warum hat es Literatur aus Afrika im deutschsprachigen Raum so schwer?

Im deutschsprachigen Unterricht werden Autorinnen und Autoren aus Afrika kaum erwähnt. Das hat auch mit der Sprache zu tun. Viele afrikanische Schriftstellerinnen und Schriftsteller schreiben auf Französisch, daher sind sie in Frankreich in Buchhandlungen und auf Literaturfestivals wesentlich präsenter. Ich habe aber auch den Eindruck, dass das etwas mit der Geschichte Deutschlands und Österreich zu tun hat: In den Nachkriegs- und Wiederaufbaujahren war man auf sich konzentriert, hat sich von der Welt außerhalb Europas abgeschottet, es fehlte an Offenheit für andere Kulturen. Außerdem ist Literatur aus Afrika im deutschsprachigen Raum häufig Liebhaberei. Wenn Bücher übersetzt und verlegt wurden, dann meist von engagierten Kleinstverlagen, wenn die jeweiligen Verleger in den Ruhestand gingen, wurden auch die Bücher nicht mehr aufgelegt. Es gibt erstaunlich viele Übersetzungen aus den 1970er und 1980er Jahren, aber die Bücher sind nicht mehr erhältlich.

Sie haben Aufführungen Ihres Stückes "Aus der Zeit der Königinmutter"
im Kongo und im deutschsprachigen Theater erlebt. Wo liegen die Unterschiede?

Ich habe Umsetzungen gesehen, die so durch und durch europäisiert waren, als wäre ich ein Autor wie Ferdinand Schmalz, andere wiederum versuchen, die afrikanische Welt auf die Bühne zu bringen. Das ist keine Kritik weder an dem einen noch an dem anderen Ansatz, aber im deutschsprachigen Theater hängt viel von der Sensibilität und Fantasie der Regie ab. Im Kongo werden meine Romane und Gedichte viel gelesen, aber meine Stücke selten gespielt, sie entsprechen nicht der Erwartungshaltung der Regisseure, da sie sprachlich zu experimentell und in der Handlung zu wenig konkret sind. Im Kongo spielt Literatur eine große Rolle, ein Schriftsteller soll wie ein Sozialarbeiter sein, sich gegen die Regierung stemmen. Meine Texte sind nicht unkritisch, aber mir geht es eben auch um die Poesie. Wenn ich im Kongo leben würde, würde ich ganz anders schreiben, in Österreich zu leben, beeinflusst meine Schreibweise.

Inwiefern?

Ich lebe hier in einer anderen Gesellschaft, in einem anderen Kontext. Ich spreche sechs Sprachen, alle diese Sprachen formen mein Schreiben. Jede Sprache ist wie ein eigenes Land, die Grammatik formt die Art und Weise, wie man sich ausdrückt. Meine Sprache ist wie ein Fluss, der nur existiert, weil er von Nebenflüssen genährt wird.

Ihr vielfach übersetzter und prämiierter Debütroman "Tram 83" zeichnet ein Gesellschaftspanorama afrikanischer Verhältnisse. Sie porträtieren Ihre Heimat als eine von Kriegen, Korruption und Globalisierung verwüstete Region. "Tram 83" ist in Graz entstanden, blickt man aus der Fremde anders auf die Heimat?

Ich schreibe an zwei Orten - meinem Geburtsort Lubumbashi und meinem derzeitigen Wohnort Graz. Schriftsteller meiner Generation, die im Westen leben, sind wesentlich mobiler als andere Generationen zuvor, ich reise viel, bin ein- bis zweimal pro Jahr im Kongo. Graz ist Beständigkeit. Wenn ich an einer Straße vorbeigehe, werde ich in einem Jahr dieselben Gebäude wiederfinden. Im Kongo ist alles im Wandel, wo heute ein Supermarkt steht, kann morgen schon eine Kirche sein. Meine Großeltern und Eltern sind in der Kolonialzeit geboren, ich bin in einer Diktatur aufgewachsen, in Zaire, einem Staat, den es nicht mehr gibt. Seit Generationen sind Kongolesen von Gewalt traumatisiert, obwohl das Land reich an Rohstoffen ist, gehört es zu den ärmsten der Welt. Die Situation ist komplex, man weiß wenig über das Land, und was man erfährt, zeigt die westliche Perspektive. Vielleicht bin ich nur deshalb Schriftsteller geworden, um über den Kongo zu erzählen.