"Here we are fools for Christ", steht auf der Prozessionsfahne, die von einer Horde laut trötender Clowns in viel zu großen Schuhen beim Einmarsch in die Kirche getragen wird. Nein, es handelt sich um keine feindliche Übernahme, sondern um ein jährliches Ritual: Jeden ersten Sonntag im Februar organisiert der Club Clowns International in der All Saints Church in Haggerston, East London eine Clownmesse. Seit 1946 kommen Clowns in voller Montur zu diesem Fest, gewidmet dem Clown-Übervater Joseph Grimaldi (1778 bis 1837), der das typische Make-up mit weißem Gesicht, roten Wangen und betonten Lippen etabliert hat, beeinflusst von der italienischen Commedia dell’Arte und der Figur des Harlekin. Sein Erbe lebt bis heute munter weiter.

Schon draußen hocken Clowns auf der Kirchenmauer und treiben Schabernack mit der Menschentraube, die sich um sie versammelt hat. Im Inneren ist diese anglikanische Kirche eigentlich recht nüchtern ausgestattet - aber heute wird das gotische Gotteshaus mit Seifenblasen und Luftballons zum schillernden Narrenmekka, samt einem Stand der Gemeinde mit "homemade tea and cakes". Vorne am Altar liegt eine fein dekorierte Grimaldi-Torte.

Kein Weihwasser, dafür eine zurückgelassene Clowngitarre und andere ulkige Dekorationen in der Kirche. - © Charlotte Maconochie
Kein Weihwasser, dafür eine zurückgelassene Clowngitarre und andere ulkige Dekorationen in der Kirche. - © Charlotte Maconochie

Clownwitwen mit rot leuchtenden Hüten

Eltern-Clowns spazieren mit ihren Kinder-Clowns durch die Gänge, andere jonglieren oder purzeln wie in einer Slapstick-Szene über die Kirchenbänke. Das Haus ist schon vor dem offiziellen Beginn um 15 Uhr bummvoll, mit fast doppelt so vielen Gästen wie Sitzplätzen. Auf den ersten Reihen der Kirchenbänke liegen Zettel: "Reserved for Clowns." Die lebenslustige Priesterin Laura Luz mit Regenbogen-Stola hält die Clownhorde mit Humor unter Kontrolle, ist selbst Teil des Spektakels und zitiert in ihrer Predigt Monty Python. Clowns werden zum Altar geladen, gemeinsam wird gejubelt und applaudiert. Es gehört zum guten Ton, sich während der Messe nicht halten zu können: eine Huldigung an den Humor als Überlebensstrategie.

Heuer dürfen sich die Clowns nach zweijähriger Pandemiepause hier endlich wieder treffen. Die traditionellen Verlautbarungen der verstorbenen Clowns dauern diesmal länger, still begleitet von einer Gruppe von Clownwitwen mit rot leuchtenden Hüten. Einem Schelmenveteran fällt die Hose hinunter, während ein Nachwuchsbajazzo im Kindergartenalter eine Kerze für jeden verblichenen Clown entzündet. Eingeladen sind aber nicht nur mit Tricks aufmunitionierte Possenreißer, sondern sämtliche Interessierte: An irgendjemand müssen die Spaßmacher ja ihre Streiche spielen. Also heißt es Obacht, wenn ein Clown dazu auffordert, an seiner vermeintlichen Blume in der Brusttasche zu riechen. Wem nicht vor Lachen die Tränen in die Augen steigen, der wird auf diese Weise benetzt.

Der Inbegriff des traurigen Clowns

Grimaldi gehörte seinerzeit zu den beeindruckendsten Persönlichkeiten Londons und wurde zum weltgrößten Clown. Seine Familie stammte aus Italien und hatte sich dort schon über Generationen als Zirkusartisten und Narren einen Namen gemacht. Josephs Vater Giuseppe Grimaldi war - nun aber schon in London - ebenso Clown und Ballettmeister - allerdings ein äußerst grimmiger. Sein Spitzname war "Grim-All-Day", während sich jener des Sohnes bis heute zum Synonym für Clowns hielt: Joey.

Für Joseph Grimaldi schien der Weg vorgezeichnet: Er war noch keine drei Jahre alt, als er schon im Affenkostüm die Bühne im etablierten Sadler’s Wells eroberte. Später trat er in weiteren hochdotierten Londoner Häusern auf, etwa in der Oper oder im Theatre Royal Drury Lane - nie aber im Zirkus, viel eher in der englischen Pantomime: einer Art Märchen-Musical aus dem 17. Jahrhundert mit grotesker Handlung. Grimaldi entwickelte dazu Slapstick-Einlagen, die noch bis weit nach seinem Tod nachwirkten. Berühmt wurde er zudem dafür, das Publikum zum Singen und zu Call-and-Response-Passagen zu animieren.

Doch auch wenn die Publikumsränge polterten: Grimaldis Privatleben war gesäumt von tragischen Schicksalsschlägen. Er erfüllte das Klischee des traurigen Clowns mehr, als es ihm guttat. Niedergeschlagen und des Lebens müde ging er einmal - so will es die Legende - zu einem Arzt. Der sah sein seelisches Leid und riet ihm: "Gehen sie zu einer Vorstellung von Grimaldi. Das habe ich am Wochenende gemacht und es hat mich zerrissen vor Lachen!" Da sagte der am Boden zerstörte Patient: "Aber ich bin doch Grimaldi!"

Gezeichnet war er auch von zahlreichen, den wilden Bühnenshows geschuldeten Verletzungen: Einmal hatte er sich in den Fuß geschossen. Nachdem sein Sohn und seine Frau gestorben waren, wurde er erst recht zum depressiven Trinker. 1823 hatte er seinen letzten großen Auftritt und verbrachte die folgenden Jahre damit, seine Lebenserinnerungen zu notieren. Grimaldis Memoiren waren gut, aber nicht besonders gut geschrieben - und so wurden sie von niemand Geringerem als Charles Dickens in ihre Endfertigung gebracht. Der hatte schon als Siebenjähriger den Clown in Aktion gesehen.

Die Messe für Grimaldi ist noch nicht vorbei: Gerade beten die heiligen Narren innig dafür, ihren Humor nur ja nie zu verlieren. Dem Allmächtigen richten sie aus: "Help us to remember that your foolishness is wiser than our wisdom. Amen." Luftballons fliegen durch die Luft, und trotz des anarchischen Charakters ist das eine ehrliche Respektsbekundung für Grimaldi und alle anderen toten und lebenden Clowns: Schließlich befinden wir uns auf einer bunten und keiner schwarzen Messe. Nach der offiziellen Andacht heißt also: Showtime! Die Clowns übernehmen den Altar mit einem riesigen Grimaldi-Tuch, während die Priesterin ihr Kind in der ersten Reihe auf den Schoß nimmt und sich zerkugelt.

Parallel zur Clownmesse fand überdies im Londoner Venue Horse Hospital - einem ehemaligen Pferdespital, das sich eigentlich subkulturellen Strömungen widmet - eine Ausstellung über Clowns statt. Dabei zu sehen waren nicht nur Riesenschuhe und aberwitzige Kostüme, sondern auch Eier: Denn nach dem Zweiten Weltkrieg begann Stan Built, der Gründer des Club Clowns International, die individuelle Gesichtsschminke von hunderten Clowns auf Eiern zu dokumentieren. Was als Hobby begann, etablierte sich zum Copyright auf die einzigartigen Clowngesichter. Diese Tradition des informellen Patentierens hält sich bis heute - und mittlerweile wird eine eigene Künstlerin für diese Porträts beschäftigt.

Ein Grab, auf dem man tanzen darf

Grimaldi starb, todunglücklich, mit 58 Jahren. Sein Grab befindet sich in der Nähe von Kings Cross, das Grün rundherum trägt den Namen Joseph Grimaldi Park. Hier trafen sich die Clowns für ihre Messe ursprünglich, doch jene Kirche, die da stand, brannte 1959 ab. Jedes Jahr am 31. Mai, dem Todestag von Grimaldi, wird hier aber bis heute eine Clownversammlung zelebriert, bei der die Ruhestätte mit Blumen geschmückt wird.

Und daneben befindet sich das wohl einzige Grabmal, das offiziell dazu einlädt, auf ihm zu tanzen. Genauer gesagt: 2010 installierte der Künstler Henry Krokatisis hier Grimaldi gewidmete Klangfliesen aus Bronze, die er in der Form eines Sarges arrangierte. Man soll damit Grimaldis Lieblingslied "Hot Codlins" zum Klingen bringen können, das von einem Verkäufer kandierter Äpfel handelt, der sich während der Arbeit mit Gin volllaufen lässt. Wer auf diesem Grab eine handfeste Melodie zusammenbringt, muss ein wahres Genie sein, denn viel Ton kommt nicht aus den Fliesen heraus. Während man also auf ihnen herumstampft und -tobt, macht man sich - ganz im Sinne des zu Gedenkenden - zum Clown.