Interventionen bei Klassikern des Weltdramas, um altbekannten Handlungsverläufen eine unerwartete Wendung zu verliehen, oder die Demontage von Bühnenhelden gehören zur DNA des Gegenwartstheaters. Dass eine Figur wie Hamlet oder der Erzbösewicht Richard III. dabei gleichermaßen von einer Frau wie einem Mann verkörpert werden kann, ist das Einmaleins zeitgemäßer Bühnenkunst.

Diese munteren Angriffe auf die Theatertradition werden neuerdings durch eine weitere Facette ergänzt: Autorinnen und Autoren erhalten einen Miniaturauftrag, um zu einem vorgegebenen Stück einen Text zu verfassen, der entweder als Prolog, Zwischenspiel oder Epilog das Stück ergänzt oder variiert. Das Ganze erinnert ein wenig an das sogenannte "Sandwichprogramm" im Konzertbetrieb: Das Publikum kommt, um die großen Meister zu erleben, dazwischen wird ihnen eine zeitgenössische Komposition gewissermaßen untergejubelt.

Bierernste Groteske

Im Volkstheater setzt man nun an Elfriede Jelineks ohnehin schon anspruchsvollen Bühnentext "In den Alpen", uraufgeführt 2002, eine Fortschreibung von Fiston Mwanza Mujila mit dem Titel "Après les Alpes".

Das Unternehmen ist theoretisch nicht uninteressant: Ausgehend vom Bergbahnunglück in Kaprun, bei dem 155 Menschen ums Leben kamen, setzt sich die Literaturnobelpreisträgerin in "In den Alpen" mit dem Verhältnis von Zivilisation und Natur auseinander. Auch das Speicherkraftwerk von Kaprun, das während der NS-Zeit von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen errichtet wurde, geistert durch den Text, der in den Alpen ein Sinnbild menschlicher Hybris entdeckt.

Daran knüpft der in Graz lebende, aus dem Kongo stammende Autor Fiston Mwanza Mujila an. Er entwirft in "Après les Alpes" eine dystopische Satire, die im Ausverkauf der Berge gipfelt: Aufgrund des Klimawandels fällt nicht mehr genügend Schnee, der Skitourismus rentiert sich nicht mehr, stattdessen wurden seltene Bodenschätze in den Bergen entdeckt. Der Raubbau beginnt.

Regisseurin Claudia Bossard lässt den Jelinek-Part in einer Bergbahnstation spielen. Bühnenbildnerin Elisabeth Weiß nimmt in ihrem grandios heruntergerockten Spielort Maß an Entwürfen von Anna Viebrock, bis zum schäbigen Buffet-Schild stimmt hier einfach alles.

In dieser kunstvollen Tristesse treffen nun Jelineks untote Skifahrer aufeinander. Allerdings erschöpft sich die Auseinandersetzung mit Jelineks Sprachbildern in schlichtem Aufsage-Theater, es ist wie ein Hörstück. Damit das richtig zündet, fehlt es dem sechsköpfigen Ensemble ein wenig an Format. Zwangsläufig wird auch viel gestrichen, vor allem die Passagen, in denen es um die NS-Vergangenheit des Kraftwerks Kaprun geht.

Ohne Pause gehen die Texte fließend ineinander über. Mujilas Stück wird auf ein leeres Flugfeld verlegt - eine Betonwüste mit Flugzeugtreppe. Der Umbau vollzieht sich auf offener Bühne. An diesem ungemütlichen Ort glänzen vor allem die weiblichen Darstellerinnen Julia Franz Richter und Anna Rieser, die sich in umwerfenden Rokoko-Kostümen Mini-Dramen liefern, während die männlichen Figuren seltsam überzeichnet sind oder zur Karikatur werden.

Mit einer Reihe an gut gelaunten Videos und effektvollen Lichteinsätzen läuft die Stadttheater-Maschinerie zwar auf Hochtouren, doch all der Theaterzauber ändert leider nichts daran, dass die über zweistündige Aufführung nicht rundweg glückt.

Die beiden Texte sind sowohl inhaltlich als auch sprachlich zu verschieden. Regie und Darstellende mühen sich so redlich wie vergeblich ab, aus der ungleichen Kombination einen sinnfälligen Theaterabend zu gestalten. Jelineks Text gerät dabei zu bierernst, Mujila rutscht zu sehr in die Groteske ab. Bierernste Groteske? Da stimmt etwas nicht.