Der gute alte Georg Friedrich Händel war also auch schon Klimaaktivist. Freilich wusste er das zu Lebzeiten nicht. Offenbart hat sich dieser Umstand erst am Montag im vom Theater an der Wien bespielten Museumsquartier. Dort verortet nämlich die französische Regisseurin Marie-Eve Signeyrole Händels Oratorium "Belshazzar" radikal in der Gegenwart und schildert den Fall Babylons als utopische Siegesgeschichte des Klimaaktivisten Cyrus im Kampf um die kostbare Ressource Wasser.

Unterstützt wird der König von Persien dabei von der blinden Biotechnologin Daniela, die vom despotischen König Belshazzar in Knechtschaft in einem Pflanzen-Labor den Trank ewiger Jugend destilliert. Die hellsichtige Daniela wiederum findet in Königsmutter Nitocris eine Verbündete - und Geliebte. Der Despot wird gestürzt, es gibt Wasser für alle.

Die Grundzüge der biblischen Geschichte des Apokalyptikers Daniel wiederzufinden, ist nicht immer einfach in dieser Neuproduktion. Das liegt nicht nur am dramaturgischen Setting, sondern auch an der Umsetzung. Die raffinierte Bühne von Fabien Teigné dient großteils als Projektionsfläche für überdimensionale Live-Videos, die die mediale Ausschlachtung der blutigen Ereignisse parallel gleich mitliefern - King TV im Echtzeit-Format. Der Fokus auf die Musik geht in so viel inhaltlicher und visueller Aufladung nur allzu oft verloren - auch akustisch. Das liegt einmal an der schmalen Öffnung der Bühne in Richtung Publikum und an der Verstärkung, die so manche Nuance verflacht. Freilich: Barockes Musiktheater in der Halle E unverstärkt zu machen, ist schwierig. Den Königsweg hat diese Produktion noch nicht gefunden. Was man der Inszenierung lassen muss: Sie besticht durch eine hohe Ästhetik, die allgegenwärtigen Videos spielen mit gegenwärtigen Phänomenen der Sozialen Medien und versuchen, heutige Stilmittel einfließen zu lassen.

Vokale Glanzpunkte

Musikalisch ist die Produktion schon ob ihrer äußeren Umstände durchwachsen. Das dynamische Ensemble L’Arpeggiata und der wunderbare Arnold Schoenberg Chor unter der Leitung von Christina Pluhar liefern einen pulsierenden, stimmigen und fein nuancierten Barock-Klang, der jedoch vor den starken Bildern verblasst.

Von den Sängern kann dieses Setting einzig Jeanine De Bique nutzen. Mit ihrem samtig timbrierten und elegant geführten Sopran sorgt sie als weise Nitocris für vokale Glanzpunkte. Der Belshazzar von Robert Murray ist szenisch präsent, aber stimmlich fahrig, Vivica Genaux als Cyrus und Eva Zaicik als Daniel(a) sind darstellerisch wenig prägnant und bleiben stimmlich flach.

Oper lebt gerade in einer digitalen Welt von ihrer Unmittelbarkeit. Sie zieht in den Bann als analoger Gegenentwurf der Direktheit. Als Enklave in der Zeit versteht sie es im Idealfall, zentrale Menschheitsthemen zeitlos gültig zu verhandeln und sie dabei emotional zu erschließen.

Der Versuch, diese Kunstform mit technischen (Stil-)Mitteln zeitgemäß zu machen, erweist sich allzu oft als ein grundsätzliches Missverständnis des Wesens dieser Kunstform - denn das beraubt sie ihrer Unmittelbarkeit. Was hier als vordergründige Intensivierung daherkommt - vom Video-Close-up bis zur elektronischen Klangoptimierung - führt schnell in ein Verflachen der Tiefenschichten und Beschneiden der komplexen Dimensionen.

Natürlich kann, darf und soll Oper alle Mittel ihrer Zeit nutzen und sich keinen neuen Wegen verschließen - solange sie dazu dienen, den Fokus auf ihr Wesen zu schärfen, statt den Blick darauf zu verstellen. Bei der Premiere stieß die Produktion jedenfalls auf heftige geteilte Reaktionen.