Putins Tod dauert ungefähr 20 Minuten. Der russische Machthaber wird vergiftet, erschlagen, erwürgt, ersäuft, erschossen. Auf den grotesken, irrwitzig gespielten Todeskampf folgt sanfte Musik. Dann tosender Applaus im vollen Saal des Teatr Lesi, am Rande der Lemberger Innenstadt.
"Wie ich den Krieg getroffen und Putin fast getötet habe" ist ein Gastspiel dreier Schauspieler aus den Kriegsgebieten im Osten, die ihre Heimat verlassen mussten. "Ich fühle mich wahnsinnig müde vor Vergnügen", sagt Regisseur Artem Vusyk direkt nach der vorläufig letzten Aufführung. Das Stück ist autobiografisch: Vusyk floh am ersten Kriegstag von Charkiw nach Lwiw. Sascha Shai, der Putin spielt, kam aus Kiew. Im Zentrum steht die Innenwelt des Protagonisten, der Putin mit einem tödlichen Fluch belegt. In den ruhigeren Momenten reflektiert er über die neue Normalität im wunderschönen Lwiw, wo der Krieg so weit entfernt scheint. Gerade diese Zwischentöne sind es, die dieses ansonsten eher an Quentin Tarantino erinnernde Stück so besonders machen.

Die westukrainische Metropole Lwiw (Lemberg) ist stark von ihren acht Theaterhäusern geprägt. Zu Kriegsbeginn kamen hunderttausende Geflüchtete in die Stadt, rasch wurden alle Schauspielstätten zu Schutzräumen umfunktioniert. Der Proben- und Bühnenbetrieb musste von einem Moment zum nächsten ruhen, Schauspieler und Mitarbeiter begannen Kartons mit Hilfsgütern zu schleppen, Geflüchtete abzuholen oder für sie zu kochen. Mittlerweile haben die meisten permanente Unterkünfte in Lwiw gefunden, sind weiter nach Westen gegangen oder zurück in ihre Heimat. Und so startete im Herbst wieder an allen Bühnen der Stadt die neue Spielzeit, unterbrochen nur von den vielen Luftalarmen, die es immer wieder gibt.
"Haben genug von Krieg"
"Unsere Zuschauer haben genug vom Krieg, sie wollen sich zumindest für zwei, drei Stunden einmal nicht damit beschäftigen", sagt Iryna Artemjak, die künstlerische Direktorin des Kinder- und Jugendtheaters. Der frühere Direktor, er stammt aus Cherson, meldete sich frühzeitig freiwillig zur Armee. Und er informierte die Kollegen darüber, sodass sie sich vorbereiten konnten. Und so kam es dann auch, er wurde unmittelbar nach Kriegsbeginn eingezogen. Iryna Artemjak übernahm seine Funktion und einige administrative Tätigkeiten. "Er sagte, es ist nur für kurze Zeit", bekanntlich kam es aber anders.
Derzeit laufen am Kinder- und Jugendtheater vor allem Komödien, leichte Stücke, die das junge Publikum und oft auch die Eltern zum Lachen bringen sollen. Mehrere Produktionen nehmen aber indirekt auf den Krieg Bezug. "Wir gehen sehr vorsichtig an das Thema heran und wollen, dass sich alle wohlfühlen", sagt Artemjak. Auch dieses Theater nahm hunderte geflüchtete Frauen und Kinder aus der Ostukraine auf. Als sie in Dauerunterkünfte verlegt wurden und der Spielbetrieb wieder losging, wurden sie ins Theater eingeladen. Für viele der geflüchteten Kinder war es die erste Theatervorstellung überhaupt, berichtet Artemjak: "Sie waren begeistert."
Die Kaffeehäuser sind voll
Geht man durch Lwiw, ist der Krieg gleichzeitig präsent und nicht präsent. Die Altwiener Kaffeehäuser sind gut besucht, die Innenstadt pulsiert vor Leben, auf den engen Straßen staut sich der Verkehr wie eh und je. Frühmorgens wird mustergültig der Schnee geräumt, vor den größeren Hotels und Restaurants surren die Generatoren. Andernorts müssen Kerzen reichen, wenn es wieder einmal zum Stromausfall kommt.
Viele Theater haben ihre Vorstellungen vorverlegt, bei längeren Stücken oft schon auf 17 oder 18 Uhr. Denn ab etwa 22 Uhr leeren sich die Straßen, dann dürfen auch die Bars keinen Alkohol mehr ausschenken und drehen nach und nach die Musik ab. Ab Mitternacht, ein bis zwei Stunden später als in Kiew und anderen Teilen des Landes.
Doch auch in Lwiw, mehr als 1.000 Kilometer von allen Fronten entfernt, sieht man die Folgen des Kriegs. Blutjunge uniformierte Soldaten, die sich von ihnen Freundinnen verabschieden. Soldatinnen, die ebenfalls in den Krieg ziehen. Fast tägliche Begräbnisse von Gefallenen in ihrer alten Heimat. Eingerüstete Denkmäler, Sandsäcke vor Amtsgebäuden und Museen. Und täglich neu aufgehängte Zettel an Hauseingängen, die die offizielle Zahl gefallener russischer Soldaten anschreiben: Mehr als 110.000 sind es Stand Mitte Januar.
Das 1993 gegründete Akademische Theater Les Kurbas war von Anfang an ein intellektuelles und politisches Haus. Seit mehreren Jahren auf dem Spielplan ist "Das Lied des Waldes", das den mehrmaligen Identitätsverlust der Ukraine im Lauf des 20. Jahrhunderts behandelt. "Wir haben nichts am Stück verändert, aber im Kontext der heutigen Ereignisse klingt es sehr aktuell", sagt Oleh Zjona, seit Kriegsbeginn künstlerischer Leiter des Les Kurbas. Eigentlich ist er Schauspieler, er spielt auch im "Lied des Waldes" mit.
"Schuld und Sühne" gestrichen
Heute können er und sein Team nicht das volle Repertoire spielen, wie es vor der Kriegseskalation bestand - viele der Schauspieler sind im Krieg, einige Schauspielerinnen im Ausland. Dennoch stehen heute mehr als 15 Stücke auf dem Spielplan. Dostojewskis Klassiker "Schuld und Sühne" nicht mehr, es wurde aus dem Repertoire gestrichen. "Es war unser bekanntestes Stück, ich habe darin mehr als 20 Jahre lang gespielt", sagt Zjona. "Wir haben aber verstanden, dass es notwendig ist, bezüglich Russland Stellung zu beziehen. Da waren wir uns alle einig."
Gibt es auch Stücke, die direkt auf den Krieg Bezug nehmen? "Es mag pathetisch klingen, aber allein die Existenz des Theaters und dass immer noch gespielt wird, ist unser Beitrag zu diesem Kampf", sagt Zjona. Nachsatz: "Wenn wir ein Stück finden, das nicht nur als Dokument, sondern auch künstlerisch interessant ist, werden wir es zweifellos spielen." Es gebe jedenfalls großen Bedarf, der schwierigen Realität künstlerisch noch etwas gegenüberzustellen.
Marionettentheater im Keller
Auf der anderen Seite der Svobody-Allee und des malerischen Rynok-Hauptplatzes liegt das Lemberger Marionettentheater. Derzeit zeigt das Haus das Kammerspiel "Schmata - Ein Abend im Luftschutzkeller", das im Keller des eigentlichen Theaters gezeigt wird. "Schmata" handelt von einer zusammengewürfelten Truppe Lemberger, die während eines fiktiven Luftalarms Schutz sucht. Alle gehen auf ihre ganz eigene Art und Weise mit dem Krieg um. Bei den Aufführungen verschwimmen mitunter Realität und Inszenierung - wenn die realen Sirenen angehen, kann hier in Sicherheit und ohne Unterbrechung weitergespielt werden.
Nach mehreren Theaterbesuchen und vielen Gesprächen lässt sich sagen: Das ukrainische Theater ist genauso resilient wie die ukrainische Gesellschaft insgesamt. Der normale Spielbetrieb geht weiter, gleichzeitig gibt es hochpolitische Stücke, die den Krieg, seine Folgen und was es bedeutet, ukrainisch zu sein, thematisieren. Das Publikum dankt es und kommt zahlreich.