Die Mutter ist in der Urne. Sohn Jean findet, das ist wirklich verrückt, dass sich ausgerechnet eine Jüdin einäschern lässt. Da könnte einem schon ein Schauer über den Rücken laufen an diesem Theaterabend im Akademietheater. Tut es aber nicht. Am Donnerstag kam dort "Serge" von Yasmina Reza zur Uraufführung. Reza ist eine der meistgespielten Dramatikerinnen unserer Zeit, Scharfsinn kombiniert mit Publikumswirksamkeit ist charakteristisch für ihr Werk à la "Kunst" und "Der Gott des Gemetzels". Aber "Serge" hat Reza nicht als Drama geschrieben, sondern als Roman. Das sollte einem vielleicht zu denken geben, wenn eine Dramatikerin eine solche Form-Entscheidung getroffen hat. Lily Sykes und Andreas Karlaganis ficht das nicht an. Sie brachten "Serge" nun in einer Bühnenfassung ans Akademietheater. Und die plätschert ein bisschen zu beliebig dahin.

Michael Maertens ist also Jean und Roland Koch sein Bruder Serge. Ihre Mutter, eine ungarisch-stämmige Jüdin, ist eben gestorben. Serges Tochter Josephine (Lilith Häßle) nimmt das zum Anlass, die Familie - mitsamt Schwester Nana (Alexandra Henkel) - nach Auschwitz zu dirigieren, oder "Oswiitz", wie Josephine es ausspricht. Sie solle nicht sprechen wie so ein französischer Goi, wird sie da von Serge zusammengestaucht, der überhaupt recht schnell ist mit Abkanzeln.

Familie halt

Das macht den Ausflug nach Polen, der ohnehin eine emotionale Herausforderung ist, immerhin wurde ein Großteil der Ahnen im Vernichtungslager ermordet, noch ein bisschen angespannter. Serge hat für Nanas Sohn ein Praktikum organisiert, das dieser nun absagt. Das führt zum Streit darüber, wie gut erzogen dieser Bursche eigentlich ist. Das bringt freilich Nana auf die Palme, genauso, dass sich die beiden Brüder konstant über ihren Mann Ramos lustigmachen. Sie stellt Serge die Frage, die auf der Hand liegt: Was hast du in deinem Leben so toll richtig gemacht, dass du dir permanent ein vernichtendes Urteil erlauben kannst? Es kommt zum Bruch zwischen den Geschwistern - wie so oft wegen einer eigentlichen Lappalie, die aber lang Angestautes freilegt. Familie halt.

Banales Balgen

Die Bühne von Márton Ágh ist einem langgezogenen Wartezimmer mit trauriger Zimmerpflanze nachempfunden, im Hintergrund sind viele Türen, die sich in der Mitte auch als Portal öffnen - etwa wenn die Geschwister und Josephine unter der berüchtigten "Arbeit macht frei"-Aufschrift stehen. Die Spannung, die darin liegen könnte, dass die familiäre Spurensuche an diesem Ort des Horrors von banalen Balgereien durchlöchert wird, kann die Inszenierung von Lily Sykes nicht vermitteln, ohne streckenweise langatmig zu werden. Insgesamt bleibt hier alles ein bisschen zu harmlos. Das heißt nicht, dass es nicht unterhaltsame Momente gibt: Etwa die fast filmischen Übergänge zwischen Szenen, für die oft der Sohn einer Ex, den Jean als Ersatzkind liebt, verantwortlich ist: Da wird die Antenne des Ghettoblasters zum Scheibenwischer - gerade noch im Pariser Heim, schon auf der Autobahn zum KZ. Rückblicke in die Kindheit, wenn die Brüder verkleidet als Wikinger die "drei F" an der Schwester anwenden: "Folter und Fesseln der Fasallin". Jene Figuren, die die Verbindung zur Generation der Eltern herstellen - der gealterte Tel-Aviv-Hedonist Maurice und die beste Freundin der Mutter, Zita - sind mit Martin Schwab und Inge Maux treffsicher besetzt. Auch der Rest des prominenten Ensembles, besonders das gekonnte Zusammenspiel von Koch und Maertens, hat keine Schuld daran, dass diese Roman-Dramatisierung zwar gagreich, aber blutleer bleibt.