Die irisch-britische Theaterformation "Dead Centre" widersetzt sich branchenüblichen Kategorien und lässt sich nicht leicht einordnen. Inszenierungen der Marke "Dead Centre" sind gleichermaßen technikaffin und rücken die Darstellenden ins Zentrum, sie sind hochliterarisch, aber lassen mitunter auch das Publikum auf die Bühne und versöhnen auf ganz eigene Weise Hochkultur mit Entertainment. Seit einigen Jahren irrlichtert das Autoren- und Regie-Duo Ben Kidd und Bush Moukarzel durchs deutschsprachige Theater und erarbeitet Inszenierungen etwa an der Berliner Schaubühne oder am Wiener Burgtheater. Am Samstag (18. März) wird am Akademietheater bereits ihre vierte Wiener Arbeit uraufgeführt.
Traum und Philosophie
Ausgangspunkt von "Katharsis" ist Olga Tokarczuks 2009 erschienener Roman "Unrast". Die polnische Literaturnobelpreisträgerin setzt sich anhand verschiedener Textsorten mit der Getriebenheit des modernen Menschen auseinander. Die Autorin arbeitet mit dezentralen Erzählstrukturen und kommt damit offenbar der heterogenen Arbeitsweise von "Dead Centre" entgegen, neben Reiseerzählungen, mythologischen Geschichten und philosophische Betrachtungen, flicht sie in ihre literarischen Ausführungen auch drei Briefe ein, die sie als Josephine Soliman unterschreibt.
Josephine Soliman hat tatsächlich von 1772 bis 1801 in Wien gelebt und schrieb diese Briefe auch wirklich an den amtierenden Habsburger Kaiser Franz II (1768 bis 1835). Solimans Vater war Mmadi Make, er wurde als Kind von Sklavenhändlern verschleppt, von Afrika nach Europa verschifft und als Angelo Soliman getauft. Als Diener stieg er in den gesellschaftlichen Kreisen auf und erlangte im Wien des 18. Jahrhunderts gewisse Berühmtheit, verkehrte mit bekannten Personen der höheren Gesellschaft. Mit seinem Tod am 21. November 1796 wurde Angelo Soliman schlagartig wieder auf sein Äußeres reduziert - auf die schwarze Hautfarbe. Sein Leichnam wurde beschlagnahmt, seine Haut wurde ausgestopft und zur Schau gestellt. Solimans Tochter protestierte mit aller Vehemenz dagegen und schrieb scharfe Briefe an den Kaiser. Vergeblich. Ein Begräbnis für ihren Vater und eine würdevolle Ruhestätte wurde ihr verwehrt.
Im gegenwärtigen antikolonialistischen Diskurs gilt Josephine Soliman als eine der ersten Frauen, die sich hierzulande gegen rassistische Grausamkeiten zur Wehr setzte.
Mit diesem kaum bekannten Kapitel österreichischer Geschichte setzt sich das Künstlerduo "Dead Centre" auseinander und wird die Historie auf vielfältige Weise mit der Gegenwart verlinken.
Bush Moukarzel und Ben Kidd nehmen mit ihren Theaterabenden gern an der Wirklichkeit Maß, berufen sich auf Persönlichkeiten oder historische Begebenheiten. In der "Traumdeutung" (2020) erlebt das Publikum, wie eine Schauspielerin als Sigmund Freud die Träume einer Zuschauerin analysiert.
Auch philosophische Überlegungen vermag die Truppe auf die Bühne zu bringen. In "Alles, was der Fall ist" (2021) umkreiste die Inszenierung die Frage, ob sich mit Hilfe von Wittgensteins logisch-analytischem Denken Mord und Totschlag in der Welt begreifen ließe. Die Versuchsanordnung arbeitet sich an zwei Handlungssträngen ab: Einerseits wurde eine reale Gewalttat als Beispiel herangezogen, eine Amokfahrt in Graz im Jahr 2015, bei der drei Menschen ums Leben kamen, dann wiederum wurde mit Schlüsselszenen aus Shakespeares "Macbeth" operiert, das alles mündet wiederum in eine Lecture-Performance in Sachen Wittgenstein, ein kurzweiliger Parforce-Ritt der Stile und Inhalte.
"Die Maschine in mir (Version 1.0)", die während des Corona-Lockdowns aus dem Kasino am Schwarzenbergplatz gestreamt wurde, verknüpfte gekonnt analoge und digitale Spielweisen. Michael Maertens Monolog basierte auf dem Bestseller "Unsterblich sein" des Journalisten Mark O’Connell, der Reportage-Band ist wie eine Einführung in die Welt der Transhumanisten und deren Visionen einer Mensch-Maschinen-Verschmelzung. Vorhang auf für Solimans Schicksal.