Die besten Plätze bei der "Freischütz"-Premiere waren wohl jene im Orchestergraben. Zumindest an den hinteren Pulten, Sitzrichtung Publikum. Die dort Platzierten hatten einen entscheidenden Vorteil: Ihnen blieb der Blick auf die Bühne verwehrt - besser gesagt erspart.
Der szenische Höhepunkt dieser Neuproduktion des Theaters an der Wien im Museumsquartier aus Publikumssicht war am Mittwoch dann der Beginn des dritten Aktes, dessen Musik vor geschlossenem Vorhang erklang. Wobei die volle Aufmerksamkeit auf den Klang zwar eine Erholungsphase für das überreizte Auge bereithielt, über die teils wackligen Einsätze des Orchesters aber nicht hinwegtäuschen konnte. Doch womöglich wirkte auch in den Wiener Symphonikern und bei Dirigent Patrick Lange die flackernd irrlichternde Unruhe der ersten beiden Akte noch nach.
Doch auch dieser Pausenvorhang schob sich gnadenlos zur Seite und gab erneut den Blick frei auf die das Bühnenportal füllende halbtransparente Leinwand, auf der verwackelte, live im Halbdunkel dahinter gefilmte Bildfetzen das Geschehen schon im ersten Teil erschlagen, anstatt zu illustrieren. Regisseur David Marton hat die Bühne dafür in ein Filmstudio verwandelt und dort mehrere Drehorte aufgebaut - vom Wald bis zur guten Stube. In diesen Kulissen filmen drei Kameraleute das Geschehen live, das wackelige Ergebnis wird auf die gigantische Leinwand gespielt, teils in Schichten überblendet und verzerrt. Die Drehplätze im Hintergrund bleiben schematisch durch die Leinwand erkennbar, was das Auge zusätzlich zu den unruhigen Bildern überfordert. Doch die vermeintliche Nähe durch die permanenten wie penetranten Nahaufnahmen von Gesichtern und raschelnden Blättern kippt ins Gegenteil: Das Publikum ist vom Geschehen auf der Bühne ausgeschlossen - es sitzt statt in der Oper im wahrsten Sinne des Wortes in einem schlechten Film.
Von Flackerlicht erschlagen
Die weiteren Regie-Ideen gehen nicht auf und im Flackerlicht unter: So sind Agathe und Ännchen ein und dieselbe Person, werden im Finale in Zeitlupe Bilder vom abendlichen Karlsplatz gezeigt - was immerhin das Auge erholt - und sprechen die Figuren die Dialoge in der jeweiligen Muttersprache der Sänger. Letzteres mag als Notlösung eines ewigen Problems ein legitimes Experiment sein, macht den Abend allerdings auch nicht weniger anstrengend.
Die beliebige, in ihrer Überdimensionalität aufdringliche und optisch überreizende szenische Umsetzung ließ die Leistung der Musikerinnen und Musiker verblassen - oder begrub diese vielmehr unter sich. So ist Alex Esposito ein eindringlich kerniger Kaspar und Tuomas Katajala ein kraftvoll konturierter Max. Jacquelyn Wagner hat als Agathe lyrische, jedoch auch angestrengte Momente. Aus einem Kämmerchen gefilmt und akustisch teils unausgegoren verstärkt, erklingt sie ebenso wie Sofia Fomina als passables Ännchen mit fernem Schellack-Timbre.
Dirigent Patrick Lange am Pult der Wiener Symphoniker bemüht sich, das Geschehen zumindest musikalisch zusammenzuhalten. Das gelingt ihm in den großen romantischen Bögen von Carl Maria von Weber besser als in den subtilen Details. Doch die Musik erwies sich bei dieser fatalen Kapitulation des Ohres vor dem Auge sowieso als tönende Nebensache - auch ein Zeichen der Zeit.
Bei aller Offenheit für multimediale Wege und die gegenseitige Inspiration von Kunstsparten: Damit sich der dabei im Raum stehende Mehrwert entfalten kann, braucht es zwei Dinge. Der Material-Mix muss handwerklich gut gemacht sein, und keine der Sparten darf auf Kosten der anderen gehen. Beides trifft auf diese Produktion nicht zu. Hier kommt es nicht zu einer Erweiterung der Oper mit den Mitteln des Films, sondern zu einer handwerklich fragwürdigen, feindlichen Übernahme. Fest steht darüber hinaus: Menschen ohne Flackerlicht-Migräne-Trigger-Veranlagung sind bei dieser Produktion echt im Vorteil. Für alle anderen ist der Abend physisch eine echte Zumutung.