Was, wenn Verschwörungstheorien nicht etwa Nonsens sind, sondern nichts als die Wahrheit? Und was, wenn so ziemlich jede dieser Thesen voll und ganz zutreffen würde? Dann wäre die Erde flach wie ein Pizzablech, würde die Menschheit von Reptilienwesen beherrscht und von Mobilfunkwellen gehirngewaschen.
So stellt es nun auch die jüngste Produktion der Volksoper Wien dar. Wobei: Die Uraufführung "Die letzte Verschwörung" ist selbstverständlich eine Satire auf die Schwurblertheoretiker der Gegenwart, von den sogenannten Flat Earthern angefangen über die Ufologen bis hin zu den kruden Kinderhändlerring-Theorien von QAnon. Vorweg gesagt: Diese Novität aus der Feder von Moritz Eggert (Text und Musik), Länge: zweieinhalb Stunden, ist weitgehend unterhaltsam geraten, auch wenn sie an kleinen bis mittleren Mängeln leidet.
Irrsinn mit Eskalationslogik
Wir erleben hier den TV-Moderator Friedrich Quant, mit dem es Schritt für Schritt abwärts geht (oder aus "alternativer" Perspektive aufwärts). Ein "Wahrheits"-Prophet namens Dieter Urban, von Quant in dessen Sendung eingeladen, weckt in ihm Zweifel an den sogenannten "Mainstream"-Medien: Schon bald vernachlässigt der Fernsehstar seine Familie, trifft Urban und dessen Begleiterin Lara im Park, erliegt den dunklen Lockungen der Frau und nach und nach diversen Verschwörungstheorien.
Doch die stellen sich hier ja alle als zutreffend heraus: Die Reptilienmenschen - die geheimen Herrscher des Planeten - verraten sich durch eine seltsame Zeichensprache; in intimen Momenten offenbaren sie ihre schuppige Haut. Die bekommt Quant in der zweiten Hälfte des Abends zu sehen, wenn er in die Villa des Kanzlers einbricht und den Spitzenpolitiker - Schockschwerenot! - beim amphibischen Schmusen mit einer Milliardärin aus dem Mobilfunk ertappt.
Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Eggerts paranoide Parforce-Jagd nach der Wahrheit weckt Erinnerungen an Filmerfolge wie "Matrix" und "Twelve Monkeys", aber auch an Stanisław Lems "Der futurologische Kongress", einen satirischen Meisterroman, der sich Schicht für Schicht von der vermeintlichen Wirklichkeit entfernt.
Während Lem jedoch eine feine Schlusspointe setzt, findet "Die letzte Verschwörung" keinen Ausstieg aus ihrer Steigerungslogik: Stets muss noch Löffelchen Wahnsinn draufgelegt werden. Das geht soweit, dass irgendwann ein Alien mit ansehnlichem Tentakel die Ufologin Lara um Beischlaf bittet (Ziel: die Zeugung eines Mischwesens), wenig später eilt Regisseurin Lotte de Beer unverhofft auf die Bühne erteilt dort Probe-Anweisungen, dann stellt sich alles als Computersimulation des großen "Gates" heraus. Oder ist es das doch nicht? Um Fred Sinowatz zu zitieren: Alles sehr kompliziert.
Erfreulicherweise ist das trotzdem ein Abend, der schnell und schwerelos dahinsaust wie ein Ufo. Das hat nicht zuletzt mit einer temporeichen Regie zu tun, wie man sie von zeitgenössischen Erfolgsmusicals gewohnt ist: Teils filmische, teils stilisierte Kulissen (Christof Hetzer) füttern das Auge unentwegt im Verbund mit flinken Szenenwechseln, mitunter grotesken Kostümen (Jorine van Beek) und üppigen Projektionen. Auch die Personenführung von Lotte de Beer ist zu flott, um Stillstand zuzulassen.
Zum anderen punktet Eggert als Komponist. Gut: Die angekündigte Operette ist diese Uraufführung nicht geworden, die Musik bekundet (wie die Regie) eher Nähe zum Musical. Doch das meist mit Anspruch. Als unbekümmerter Eklektiker setzt Eggert auf eine leicht verbogene, verbeulte Tonalität, gestaltet Vokalstimmen oft als Sprechgesang und betraut das Orchester (unter Steven Sloane) mit Mysterienmusik: Die Bässe wühlen in düsteren Tiefen, die Holzbläser raunen ominös, und die Harfe zirpt sich eins zwischen Streicherschleiern. Diese düster lockende Klangkulisse hält das Ohr gehörig auf Trab. Zugegeben: Mitunter sackt die Partitur auf ein "We Are The World"-Level ab, erreicht aber auch opernhafte, starke Höhepunkte wie in der Arie von "Schwurbel-Urban".
Diesen stattet Orhan Yildiz mit einer gebührlichen Stimmschwärze und Klangfülle aus. Timothy Fallon verleiht dem Protagonisten schauspielerische Energie und eine passable Stimme, Rebecca Nelsen der Lara einen markanten Sopran und Daniel Schmutzhard dem Kanzlerreptil die Aura eines qualligen Unholds. Am Ende allgemeiner Beifall, nur ein einsamer - mysteriöser - Buhrufer im Saal widerspricht.