Anna Netrebko, Elina Garanča, Jonas Kaufmann: Die Sängernamen, die über die Grenzen der Opernwelt hinausstrahlen, kann man an einer Hand abzählen. Georg Nigl zählt nicht dazu. Er ist dafür hierzulande bei all jenen bekannt, die sich mit Oper auskennen. 1972 in Wien geboren, bedient sich der Bariton gern an den Rändern der Musikgeschichte, lädt Renaissance-Rollen mit Intensität auf, legt sich für Opern der Gegenwart ins Zeug - und entwickelt auch als Interviewpartner rasch Drive.

Kein Macho-räumt-auf-Stoff

Derzeit ist Nigl an der Staatsoper aktiv: Er verkörpert den Protagonisten in "Il ritorno d’Ulisse in patria", zu Deutsch also "Die Rückkehr des Odysseus in die Heimat" von Claudio Monteverdi, Premiere ist am Sonntag. Frage an Nigl: Wird man es diesem Ulisse auf der Bühne anmerken, dass er ein Kriegsheimkehrer ist? Es sei zu kurz gegriffen, sich auf diesen Aspekt der Geschichte zu konzentrieren. Nigl: "Das war in der Probenzeit ein Thema, über das wir viel gesprochen haben. Man sieht auf jeden Fall einen Menschen, der eine lange Reise hinter sich hat." Aber: "Zwischen dem Trojanischen Krieg und der Rückkehr in die Heimat liegen bei Ulisse viele Abenteuer. Ich spiele ihn nicht als Kriegsheimkehrer, sondern als einen Menschen, der sehr viel erlebt hat und dann in die Heimat zurückkehrt."

Ulisse lässt bei seiner Ankunft bekanntlich das Blut spritzen: Nachdem er sich in der Heimat verkleidet eingeschlichen hat, schlachtet er jene Freier ab, die um seine Frau Penelope und den Königsthron buhlen. Kann man so einen Mörder Helden nennen? Nigl: "Wenn man die Geschichte heute verkürzt erzählt, könnte man glauben, dass da ein Macho nach Hause kommt und brutal aufräumt, aber das stimmt überhaupt nicht. Das war auch nicht das, was Homer erzählen wollte. Ulisse weiß, dass Agamemnon bei seiner Rückkehr aus dem Trojanischen Krieg ermordet wurde. Dadurch ist die Sache für Ulisse äußerst gefährlich. Er muss jederzeit mit seinem Tod rechnen, sollte er erkannt werden. Eigentlich hat er keine andere Wahl, als die Freier umzubringen." Ein weiterer Punkt, der gegen die "Macho räumt auf"-Lesart spricht: Ulisse regelt die Dinge nicht allein, sondern mithilfe seiner Frau. "Er kann eigentlich nur durch ihre Treue König bleiben. Hätte sie die Freier nicht so lange vertröstet, wäre sie längst mit einem anderen Mann verheiratet."

Und wie wird die Geschichte in der Neuinszenierung aussehen? "Es sind abstrakte Orte, an denen wir uns bewegen, vielleicht Erinnerungsorte. Wenn Sergio Morabito und Jossi Wieler inszenieren, führt das zu einer Werksicht, die einem vielleicht nicht unbedingt als erste einfällt. Aber es ist keine Umdeutung, sondern eine Interpretation. Jeder soll sich sein eigenes Bild davon machen."

Stimmlich ist die Hauptrolle im "Ulisse" (an der Staatsoper dirigiert von Pablo Heras-Casado) für Nigl eine "Grenzpartie": "Eigentlich verlangt sie nach einem tiefen Tenor, ich bin ein hoher Bariton. Ich verstehe aber, dass man gern mit Baritonen besetzt, weil man einen virileren Klang spüren will und vielleicht auch ein gewisses Maß an Lebenserfahrung."

Vielleicht eines Tages Verdi

Apropos Besetzung: Wird Nigl in nächster Zeit wieder in Uraufführungen mitmischen? "Das nicht, aber ich kehre zu Klassikern des 20. Jahrhunderts zurück", sagt er. In dem Zusammenhang will der Wiener generell eines betonen: Er möchte sich nicht als Uraufführungssänger vom Dienst schubladisieren lassen, auch nicht als Künstler mit einem chronischen Hang zur Nische. "Ich will mich nicht festzurren lassen", sagt Nigl und betont die Vielfältigkeit seines Repertoires, das auch ganz typische Klassik enthält - darunter Mozart und Wagners Alberich.

Selbst der bisher gemiedene Verdi könnte eines Tages ein Thema werden. Zwar ist sich Nigl "nicht sicher, ob ich seine Musik so bringen kann, wie man das aus der Interpretationsgeschichte kennt. Man muss bedenken: Es gibt Erwartungshaltungen, und ich gehe nicht auf die Bühne, um die Leute zu erschrecken." Andererseits: "Womöglich ist in diesem Bereich des Noch-Nicht-Gesagten etwas so interessant, dass ich mich entschließe, es zu machen", sagt er und denkt vor allem an den "Macbeth" - aber nicht in der gängigen Fassung, sondern der Uraufführungsversion von 1847. Womit Nigl dann doch wieder Advokat einer Rarität ist.