Ingmar Bergmans Film "Szenen einer Ehe" fügt sich nahtlos in die Reihe großer Werke über das Drama der Ehe ein - von Goethes "Wahlverwandtschaften" über Ibsens "Nora" bis zu Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf", spiegelt jedes beispielhaft das Liebesleid der jeweiligen Epoche wider. Bergmans "Szenen einer Ehe" aus dem Jahr 1973 geht der Frage nach, warum die Liebe auch in einer modernen Ehe weh tut, obwohl sie doch von vielen Zwängen vergangener Generationen befreit scheint.
50 Jahre später überprüft der schwedische Theatermacher Markus Öhrn nun die Bühnentauglichkeit des Filmklassikers und setzt im Volx, der Nebenspielstätte des Volkstheaters in Margareten, seine freie Bearbeitung von "Szenen einer Ehe" um.
In der Kampfzone
Anfangs verläuft Öhrns Auseinandersetzung noch entlang des Filmskripts: Johan (42), Ingenieur, und Marianne (33), Anwältin, sind seit zehn Jahren verheiratet, haben zwei Töchter und führen ein Leben ohne finanzielle Sorgen im Kreis ihrer Familie und Freunde; das geradezu mustergültige Vorzeigepaar wird in der ersten Szene für ein Lifestyle-Magazin interviewt.
Die Differenz zur Film-Vorlage liegt in Öhrns spezifischem Theaterstil: Bettina Lieder und Elias Eilinghoff tragen Masken, mit kreisförmigen Kulleraugen und einem grotesk geöffneten Mund wirken sie wie Karikaturen. Öhrn hat auch das Bühnenbild gestaltet: ein schneeweißer Raum, der sich mit wenigen Versatzstücken von einem Wohn- in ein Schlaf- und Arbeitszimmer verwandelt. Der größte Unterschied zum Film liegt in den Dialogen: Während Liv Ullmann und Erland Josephson im Bergman-Film praktisch pausenlos miteinander sprechen, einander widersprechen, um wieder alles von Neuem zu verhandeln, bleibt bei Öhrn nur ein karges Dialoggerüst über. Die Sätze sind zwar großteils Originalzitate, aber eben extrem eingedampft, noch dazu wird der Sprache mit elektronischen Hilfsmitteln auf die Sprünge geholfen, Elias Eilinghoff klingt wie Darth Vader und Bettina Lieder wie Minnie Maus.
Öhrns theatrale Mittel der Verfremdung sind wohlüberlegt und präzise gesetzt, mit jeder Szene dreht er etwas mehr an der Gewaltspirale und entfernt sich dabei zunehmend von Bergmann.
Öhrn hat sich in seinen Inszenierungen bereits mehrfach mit toxischen Geschlechterbeziehungen und Gewalt gegen Frauen auseinandergesetzt. 2018 gastierte er mit "Häuslicher Gewalt" bei den Wiener Festwochen und 2019 war sein Kommentar zur MeToo-Debatte ("3 Episodes of Life") in Wien zu sehen. Mit "Szenen einer Ehe" setzt er die Beschäftigung mit der Kampfzone der Geschlechter fort.
Die dritte Szene, im Theater als gefilmte Episode zu sehen, ist ein Triumph des Aktionismus: Johan unterbreitet seiner Frau bei Pizza und Bier, dass er sich Hals über Kopf in eine jüngere Frau verliebt habe. Marianne kontert den Treuebruch mit einer veritablen Lebensmittel-Attacke, sie schmiert ihrem abtrünnigen Ehemann Apfelmus ums Maul und steckt ihm noch ein Würstchen zwischen die Lippen.
Szene vier, das Wiedersehen zwischen Johan und Marianne nach einigen Jahren der Trennung, gerät zum fulminanten Splatter-Spiel. Mit Fäusten, Messern und Beil gehen die beiden aufeinander los.
Die Inszenierung ist mit bald drei Stunden etwas zu lang geraten, aber Öhrn erweist sich einmal mehr als Meister des brutalen Kammerspiels. Ob seine geradezu absurd-bestialische Deutung von "Szenen einer Ehe" tatsächlich etwas über das gegenwärtige Beziehungsleben auszusagen vermag, darf bezweifelt werden - ein packender Theaterabend ist ihm allemal gelungen.